„Spiele haben eine gigantische gesellschaftliche Relevanz“

Thomas Bremer,Professor für Game Design an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Berlin forscht seit 2006 in diesem Fachgebiet. Er beschreibt die Inhalte, mit denen sich Game-Design-Studenten beschäftigen, und die Voraussetzungen für eine erfolgreiche Lehre.

Herr Bremer, bei Ihnen im sogenannten Game-Hub sieht es ganz anders aus als sonst in Hochschulen: große, offene Räume mit Glasfronten, Sitzsäcke, bunte Bauklötze auf dem langen Konferenztisch und jede Menge Rechner. Was wollen Sie mit der Ausstattung Ihrer Lehr-Räume bewirken?
Thomas Bremer: Spielen hat damit zu tun, dass wir handeln und Dinge ausprobieren. Das analoge Spielmaterial, also Bauklötze, Holzfiguren oder Xylophone, nutzen wir beispielsweise, um Szenen nachzubauen, um zu schauen, wo die Kamera am Besten platziert werden kann oder um mit dem Xylophon Sound zu produzieren. Wir nennen unsere Räume DE:HIVE, hive heißt auf englisch Bienenstock, DE steht für Digitale Entertainment oder Digital Experiences. Ähnlich wie in einem Bienenstock, wo es ja auch sehr kooperativ zugeht, wollen wir hier gemeinsam Erfahrungen entwickeln. Wir haben diesen Raum bewusst als völlig unakademisch scheinendes Environment geschaffen – fröhlich, kooperativ und auf unsere User, unsere Spielendenden, ausgerichtet.
Warum nutzen Sie in einem Studienfach, das auf ein rein digitales Ergebnis zielt, auch analoge Elemente?
Aus der Neurowissenschaft wissen wir: Je komplexer die Hände an Denkprozessen beteiligt sind, umso kreativer wird unser Geist. Gerade im Entwurfsprozess sollten wir nicht ausschließlich digital arbeiten. Etwas schnell machen zu wollen, am Computer etwas in Formate bringen zu wollen – diese Abkürzung ist nicht immer gut für Kreativität. Deshalb müssen die Studierenden in den ersten Semestern sehr komplexe Lernjournale führen, das sind große, handgeschriebene Bücher, in die ausgeschnittene Objekte geklebt werden können. Das ist eigentlich ultra-oldschool. Unser Ansatz ist hier: Wenn ich von Hand etwas ausschneiden muss, kostet mich das Zeit, aber in dieser Zeit kann ich nachdenken. Wir wissen, dass das Gehirn zum Lernen Mikropausen braucht. Durch die Arbeit mit den Lernjournalen reflektieren die Studierenden den Lernprozess. In den ersten drei Semestern geben wir das verpflichtend vor. Interessanterweise behalten die sehr guten Studierenden das bei.
Game Design gibt es als Bachelor-Studiengang an der HTW bereits seit 2009, Sie haben den Studiengang mit Ihrer Kollegin Susanne Brandhorst gegründet, die nach wie vor mit Ihnen den Lehrstuhl leitet. Wie waren die Anfänge? Was hat sich verändert?
Damals hat man gesagt, dass man so einen Studiengang gar nicht braucht. Gibt es da überhaupt Arbeitsplätze? Lohnt sich so ein spezialisierter Studiengang überhaupt? Das waren die Diskussionen. Wir waren dann der erste staatliche Bachelor-Studiengang deutschlandweit. Uns war von Anfang an klar, dass in diesem Bereich der größte gesellschaftliche Wandel vorangetrieben wird, kulturell gesehen, aber auch technologisch. Deshalb war es uns wichtig, neue Formen von Lehrkonzepten zu etablieren. Wir versuchen, struktur- und kompetenzorientiert zu denken, nicht nur inhaltsorientiert. Computerspiele haben nicht immer den besten Ruf.
Wie gehen Sie als Lehrende auf die negativen Auswirkungen von Spielen ein?
Es wäre grundfalsch, zu sagen, das ist doof, das packen wir deshalb weg, sondern es muss ein Thema sein, auch im Studium. Spiele funktionieren ja ganz stark über Belohnungen. Darüber arbeiten auch viele suchtorientierte Spiele. Gerade bei sehr geführten Spielen kann das gefährlich werden. Deshalb ist es uns wichtig, dass wir hier für die späteren Spielemacherinnen und Spielemacher einen moralischen Kompass entwerfen.
In welchen Bereichen finden Ihre Absolventen Arbeit?
Die Mehrzahl geht in die Spiele-Industrie, aber es gibt natürlich auch andere Bereiche, zum Beispiel in der Automobilindustrie, im Bereich Architektur, bei Design-Agenturen, Verlagen, in der Modebranche. Kompetente Personen werden immer etwas finden. Absolventen können in allen möglichen Digitalisierungsbranchen arbeiten – wenn sie einmal verstanden haben, was algorithmisches Denken ist, ist der Rest auch nicht so schwer. Die Grundtechnologien, die wir entwickeln, dienen ja schon lange nicht mehr nur für Spiele, sondern auch für alles andere rund um Virtual Reality, Augmented Reality. Diese Tools beherrschen unsere Studierenden.
In den letzten fünf Jahren bekommen wir immer mehr Anfragen von Firmen, Verlagen oder Verbänden, ob unsere Studierenden nicht ein Projekt übernehmen könnten. Wir lehnen das ab. Zum einen, weil wir nicht wollen, dass Studierende auf dem Arbeitsmarkt Dinge tun, für die sie nicht adäquat oder gar nicht bezahlt werden. Zum anderen gehört es ja zu den Studieninhalten, selbst Spiele zu entwickeln und zu vermarkten, so wie es Studierendenteams bei uns bereits getan haben, aktuell zum Beispiel: das Team Toukana mit ihrem Spiel Dorfromantik . Sehr erfolgreich übrigens, die vier haben bereits mehrfach Preise dafür bekommen und hohe Verkaufszahlen auf Steam.
Für wen eignet sich aus Ihrer Sicht ein Game Design Studium?
Für Leute, die Spaß dran haben, sich mit Regelwerken zu beschäftigen, die ein hohes Einfühlungsvermögen haben – und hohe Schöpferkraft, einen Produktionstrieb. Gut ist es auch für Leute, die große Freude an technischen und gestalterischen Aufgaben haben. Denn hier kommt etwas sehr Künstlerisches zu einer sehr technischen Orientierung – so wie in der Renaissance-Zeit. Im Team arbeiten zu können und zu wollen, ist für die Studierenden enorm wichtig. Denn nur Teams können Spiele machen und umsetzen. Um Game Design studieren zu können, müssen Studieninteressierte einen Eignungstext absolvieren.
Wie viele bewerben sich?
Wir haben im Schnitt 44 Studienplätze. Es bewerben sich aber viel, viel mehr. Die genaue Anzahl an Bewerbenden nennen wir grundsätzlich nicht, sonst schrecken wir gute Leute ab. Oft sind sehr talentierte Leute unsicher und denken, sie hätten keine Chance, wenn sie wissen, wie viele sich insgesamt bewerben Spiele haben eine gigantische gesellschaftliche Relevanz. Die Personen, die Spiele kreieren, sollten deckungsgleich mit denen sein, die Spiele spielen. Deshalb wollen wir hier ein ausgeglichenes Geschlechterverhältnis haben und eine hohe Diversität abbilden. Das ist uns gelungen. Anfangs hieß es: ihr kriegt sicher nicht mehr als zehn Prozent weibliche Studierende, jetzt sind wir bei einem 50: 50 Geschlechterverhältnis.

Zur Person:

Thomas Bremer ist Professor für Game Design an der HTW Berlin Foto:©HTW

Thomas Bremer ist Professor für Game Design an der HTW Berlin Foto:©HTW

Thomas Bremer ist Professor für Game Design mit dem Schwerpunkt Spielkonzeption und Spielentwicklung und Co-Gründer des DE:HIVE GameHub der HTW Berlin. Er hat freie Kunst an der HfBK Hamburg studiert. Bereits seit 2006 forscht Bremer in den Bereichen Game Design, Game Technologie und Game Studies.
erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 10. Dezember 2021