Respekt vor den Ressourcen

Es war auf einer Geschäftsreise, irgendwo in China. „Da sah ich diesen Fluss“, sagt Lisa Thormann, „Das Wasser war schwarz, und es floss nicht, es stand.“ Auf der Oberfläche waberte Unrat, es roch unangenehm, stechend, giftig. Auch wenn die chinesische Fabrik, die Lisa Thormann im Auftrag ihres Arbeitgebers besuchte, nicht zu den Hauptverursachern dieses Umweltskandals gehörte, war der Bekleidungstechnikerin klar, dass in der Textilbranche vieles im Argen liegt – nicht nur in China. „Ich bin sowohl privat als auch beruflich viel gereist und habe dabei viel gesehen – oft Schlimmes, Vieles, was ökologisch und sozial mehr als schwierig ist“, sagt sie und erzählt von rumänischen Näherinnen, deren Lohn nicht einmal für die notwenigste medizinische Versorgung reicht, von unterbezahlten Arbeiterinnen in Sri Lanka, die mehr als zehn Stunden täglich an den Maschinen sitzen.

Windkraftanlagen im Sonnenuntergang

Windkraftanlagen können ein Weg in Richtung Nachhaltigkeit sein. Foto: ©SKahlcke85/photocase.com

Theoretisch weiß man von diesen Missständen – sie mit eigenen Augen zu sehen, ist aber noch mal etwas anderes. Lisa Thormann:„Ich mache meine Arbeit sehr gerne, doch ich habe gemerkt, dass sich gerade in der Textilbranche dringend etwas ändern muss. Ich möchte mehr Nachhaltigkeit in die Arbeit reinbringen.“ Die logische Konsequenz war für Lisa Thormann, sich für den MBA-Studiengang Sustainable Business Development einzuschreiben. „Das sind zu meinem Vollzeitjob zwanzig Stunden mehr pro Woche, aber die möchte ich investieren – weil es sinnvoll ist“, sagt Lisa Thormann.
Den MBA-Studiengang Sustainable Business Development gibt es an der Ostfalia Hochschule für angewandte Wissenschaft in Salzgitter in dieser Form seit dem vergangenen Wintersemester. „Wir haben dafür unser seit 20 Jahren bestehendes MBA-Programm Umwelt- und Qualitätsmanagement neu aufgelegt“, sagt Studiengangs-Koordinatorin Silvia Mödeker, „denn wir haben festgestellt, dass das Interesse an Nachhaltigkeitsthemen immer stärker wächst, auch in der Wirtschaft.“ Darauf habe man reagiert und das Lehrprogramm überarbeitet. Neue Module wie strategisches Management, Change-Management und Corporate Social Responsibility gehören fest zum Lehrplan.
Waren die Studiengangsteilnehmer beim vorigen MBA-Programm weniger im Management angesiedelt als stabstellenmäßig im Bereich Umwelt- und Qualitätmanagement für Zertifizierungen zuständig, zielt der neue MBA eher auf die mittlere Managementebene. „Auf Leute, die hinsichtlich Nachhaltigkeit mehr bewegen können – und wollen“, sagt Professor Hendrik Ernst von der Ostfalia, „wir müssen weg von dem Ansatz: wir brauchen ein Nachhaltigkeitszertifikat in den Unternehmen, weil das eben vorgeschrieben ist. Das ist in meinen Augen ein defizitärer Ansatz im Sinne einer Kennzahlenerfüllungsmentalität, ein Green-Washing.“ Auch viele Unternehmen sähen das inzwischen anders. Ernst: „Wenn ein Unternehmen über eine längere Zeit wirtschaftlich erfolgreich sein möchte, geht das heute nur noch nachhaltig.“
Diese Erfahrung teilt Ralf Utermöhlen, Umweltberater und Dozent an der Ostfalia. „Wenn die Transformation in eine nachhaltige, aber dennoch komfortable Industriegesellschaft gelingen soll, braucht es Menschen, die verstehen, wie das funktioniert“, sagt er. Utermöhlen ist Chemiker, hat sich aber bereits Anfang der 90er Jahre als Unternehmensberater mit Schwerpunk Umweltthemen selbständig gemacht. „Bei der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl war ich 23. Das hat mich geprägt. Ich bin in tiefster Seele grün“, sagt er, „Als Chemiker sieht man die Welt schon deshalb anders, weil man versteht, wie Stofftransporte und Stoffabbau zusammenhängen. Ich wollte nicht in eine berufliche Situation geraten, in der ich Dinge tun muss, die ich aus meiner umweltbewussten Haltung heraus nicht verantworten kann – deshalb habe ich die berufliche Selbstständigkeit gewählt.“
Inzwischen denken und handeln immer mehr Unternehmen nachhaltiger. Laut einer auf Statista.de veröffentlichten Umfrage des Instituts für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) aus dem Jahr 2018 gaben knapp 43 Prozent der befragten Unternehmen an, dass Nachhaltigkeit ein wesentlicher Bestandteil ihrer Unternehmensphilosophie ist. Und etwa 27 Prozent der Befragten machten die Erfahrung, dass ihr Betrieb hinsichtlich der ökologischen Nachhaltigkeit weit über die gesetzlichen Vorgaben hinaus agiert.
Ralf Utermöhlen meint, dass sich Trends wie diese verstärken werden. Einen Grund dafür sieht er in der Fridays for Future-Bewegung. „Außerdem ist in den CEO-Etagen der großen Unternehmen eine Generation angekommen, für die das Thema Nachhaltigkeit bei weitem nicht mehr nur nice to have ist“, sagt der Unternehmensberater, „Weil immer mehr Kunden Wert auf Nachhaltigkeit legen, ändern Unternehmen ihre Geschäftsmodelle – ganz einfach auch deshalb, weil sie sonst am Markt nicht reüssieren.“ Deshalb müssten junge Menschen verstehen, was Nachhaltigkeit eigentlich verlangt und was es an Veränderungen unserer Lebensweise mit sich bringen werde.
Lara Bellin wird voraussichtlich im Herbst 2021 mit ihrem MBA Umwelt- und Qualitätsmanagement fertig sein – dem alten MBA. Sie ist Maschinenbauingenieurin und arbeitet bei VW in Wolfsburg; dort ist sie Unterabteilungsleiterin in der Technischen Entwicklung. „Das Nachhaltigkeitsthema wird uns immer weiter begleiten. Jetzt ist eine Generation am Arbeitsmarkt, die Nachhaltigkeit fordert“, sagt Lara Bellin. Sie hat sich für den berufsbegleitenden MBA entschieden, weil sie als reine Technikerin mehr über wirtschaftliche Themen wissen wollte. Und weil ihr das Thema Nachhaltigkeit am Herzen liegt: „Ich möchte nicht denken: dafür ist eigentlich eine andere Abteilung zuständig. Eine Nachhaltigkeitsstrategie muss alle Bereiche betreffen.“
Bei Bekleidungstechnikerin Lisa Thomann hat das MBA-Studium schon erste Auswirkungen auf ihre Arbeit gezeigt. „Abgesehen davon, dass ich die wirtschaftlichen Zusammenhänge besser durchschaue, habe ich meinen Arbeitgeber davon überzeugen können, die Produktverpackung zu ändern“, sagt Lisa Thormann. Statt in herkömmliche Plastiktüten werden die Textilien zukünftig in Tüten aus recyceltem beziehungsweise biologisch abbaubarem Kunststoff verpackt. Immerhin – ein erster Schritt.
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 24. September 2021