Bis ins kleinste Details vorgefertigte Routen, bei denen Marketing-Fachleuten vorkauen, was es auf der Tour alles zu erleben, zu sehen und zu fühlen gibt – sportliche Herausforderungen! Grenzerfahrungen! Naturerlebnisse! – sind mir eigentlich etwas suspekt. Der Stoneman Miriquidi Road, eine 290 km lange Rundtour durchs Erzgebirge mit Abstecher nach Tschechien, war da zunächst keine Ausnahme. Der sei ein „einzigartiger Ritt auf der erzgebirgischen Pultscholle“, hieß es auf der Website. Tja. Hmm. Ausprobieren kann man es ja mal, Marketingsprech hin oder her. Also Starterpaket bestellt und ins Erzgebirge, den im Starterpaket enthaltenen GPS-Track und die Stempelkarte im Gepäck. Und ein wirklich tolles Roadbook, 74 Seiten stark und trikottaschentauglich, mit super-detaillierten Beschreibungen der 13 Etappen. Das machte schon mal neugierig – und Lust, den Stoneman auszuprobieren und die Vorurteile wegzuschieben.

290 Kilometer, 4.700 Höhenmeter: Der Stoneman Miriquidi im Erzgebirge Foto: ©Martin Kirchner
Offiziell beginnt und endet der Stoneman Miriquidi in Oberwiesenthal, man kann aber auch an anderen Orten einsteigen, etwa in Olbernhau. Da ist man dann richtig im Herz des Erzgebirges – die Saigerhütte in Olbernhau mit 22 Fachwerkhäusern, Wehrtoren und Ringmauer galt früher als Zentrum der Kupferverarbeitung in Sachsen und ist seit 2019 UNESCO-Welterbe. Im Hof bei der Stanzstation ragt unübersehbar eine Stoneman-Figur auf. Dann mal los!
Der nächste Ort auf der ersten Etappe ist Seiffen, bei der Ortsdurchfahrt geht es zügig vorbei an riesigen Nussknackern und Engelsfiguren. Im Winter rummelt hier der Dauerweihnachtsmarkt mit Gästen aus aller Welt, jetzt im Spätsommer atmet der Seiffen auf. Rasch weiter auf den Schwartenberg zum nächsten Checkpoint mit grandioser Aussicht – und einer schwungvollen Abfahrt nach Neuhaus. Zugegeben, die Sache fängt an, Spaß zu machen: wenig Verkehr, es rollt sich gut auf den kleinen Nebenstraßen und auch über die Talsperre Rauschenbach. Etwas fordernder ist der Anstieg nach Zinnwald von Bärenfels aus – aber auch das gehört dazu. Innerlich leiste ich Abbitte: Das Konzept Stoneman ist gut durchdacht. Stammt ja auch von einem, der sich auskennt: Ausgedacht hat es sich der Ex-Profi-Mountainbiker Roland Stauder – Streckenmeister vor Ort haben die Runde dann ausgearbeitet. Den ersten Stoneman hat Stauder in den Sextner Dolomiten konzipiert. Auf seiner Lieblingstour schichtete Stauder Steinmänner auf, markierte sie und nannte seine 120-Kilometer-Tour Stoneman-Trail. Was in den Dolomiten funktionierte, brachte Stauder als Glaciaria in die Schweiz, als Taurica nach Österreich und als Stoneman Miriquidi nach Deutschland, ins Erzgebirge.
Miriquidi- Dunkelwald, Finsterwald – so nannten die frühmittelalterlichen Geschichtsschreiber das Erzgebirge. Schon kurz hinter Zinnwald naht die Grenze nach Tschechien, auf dem Weg dorthin passiert man einen eindrucksvollen Moorwald. Bald danach kommt die nächste, vielleicht schönste Abfahrt. Denn bei Dlouha Louka bricht die erzgebirgische Pultscholle Richtung Süden ab, und die Straße führt steilt runter ins Böhmische Becken nach Litvínov. Durch die quirlige Stadt zu eiern ist weniger vergnüglich, aber auch schnell überstanden. Dank GPS findet sich auch die etwas versteckt gelegene Stanzstelle an der Rückseite des Zámek Valdstijnu, Schloß Waldstein zu deutsch. Wer richtig viel Energie hat, fährt den Stoneman in einem Stück durch. Kann man machen, muss man aber nicht. Lieber bei Kalek nach Deutschland rübergemacht bis nach Olbernhau und dann am nächsten Morgen in der Früh wieder zurück auf die Strecke nach Kalek. Denn der zweite Teil der Runde hat es noch ganz schön in sich.
In Chomutov verfranse ich mich ein wenig auf der Suche nach dem Checkpoint am Tierpark. Umso entspannter rollt es sich auf einem nagelneuen Radweg entlang der zum Teil renaturierten Tagebaugrube. Dann drohen die beiden Riesen: der 1.244 m hohen Klínovec (Keilberg) und später in Deutschland der Fichtelberg mit 1214 m, jeweils in ihrem Land die höchsten Berge des Erzgebirges. Ich kämpfe. Insbesondere mit dem Klínovec. Irgendwann ist man dann auch oben, wenngleich auch ziemlich erschöpft. Rasch gestempelt und wieder weiter – zum deutschen Gebirgsriesen, dem Fichtelberg. Durchs Wintersportland Oberwiesenthal und über Bärenstein und Drei Brüder Höhe geht es zurück – auch kein Spaziergang, aber im Vergleich zu den beiden Giganten doch noch moderat.
Erschienen in: TOUR 5/2020