Stolpern gehört dazu

Die besten Ideen kommen bekanntlich beim Duschen. Oder wenn man übers Duschen nachdenkt – so wie Jonna Breitenhuber. Für ihre Masterarbeit in Produktdesign an der UdK (Universität der Künste) in Berlin forschte sie zu Körperhygiene und darüber, ob flüssiges Duschgel wirklich zwingend in einer Plastikflasche aufbewahrt werden muss.
„Wenn wir davon ausgehen, dass viele Menschen täglich duschen und dabei jedes Mal etwa 20 ml Duschgel verbrauchen, kommen wir im Jahr auf zehn bis elf Flaschen Duschgel pro Person. Dazu kommen nochmal etwa zehn Flaschen Haarshampoo. Macht allein für alle in Deutschland lebenden Menschen 1,73 Milliarden leere Platikflaschen“, rechnet Jonna Breitenhuber vor, „Wenn wir davon ausgehen, dass eine leere Flasche 43 Gramm wiegt, sind das pro Jahr 75 Kilotonnen Kunststoffmüll. Da muss es doch Alternativen geben.“

Das Duschgel von Soapbottle kommt komplett ohne Verpackung aus. Foto: ©Soapbottle

Das Duschgel von Soapbottle kommt komplett ohne Verpackung aus. Foto: ©Soapbottle

Und noch etwas beschäftigte Jonna Breitenhuber. Die 29-Jährige Produktdesignerin jobbte während der letzten Phase ihres Masterstudiums bei einer Berliner Kosmetikfirma, für die sie Verpackungen für Beautyprodukte entwarf. „Mich hat frustriert, dass es kaum nachhaltige Verpackungsmöglichkeiten gibt – und ich als Designerin unterstütze das noch, indem ich zukünftigen Verpackungsmüll möglichst schön gestalte. Viel und aufwendige Verpackung führt nämlich oft dazu, dass Produkte teurer verkauft werden können“, sagt sie. Also versuchte sie, eine Lösung für das Duschgel-Flaschen-Problem zu finden. Ihr Ziel dabei: eine Verpackung für flüssiges Duschgel designen, die sich, wenn der Inhalt leer ist, einfach wegwaschen lässt. Ohne Müll, ohne Rückstände.
In der Küche ihrer kleinen Berliner Wohnung brachte sich Jonna Breitenhuber selbst bei, wie man Seife kocht, in welchem Mischverhältnis die Zutaten stehen müssen, damit das fertige Produkt möglichst hart und haltbar wird. Nach vielen Versuchen hatte sie eine Zusammensetzung gefunden, mit der das Konzept funktionieren könnte. Jonna Breitenhuber fertigte die ersten Duschgelflaschen-Prototypen aus fester Seife an – Soapbottles nennt sie ihre Erfindung. Wenn sie leer sind, kann man die Soapbottles als Handseife oder als Wasch- oder Putzmittel benutzen.
Was sich zunächst nach einer guten Idee einer engagierten Studentin anhört, stieß bald auch bei großen Firmen auf Interesse. Als Jonna Breitenhuber nach Abschluss ihrer Masterarbeit ihre Soapbottles auf Möbelmessen und bei Wettbewerben präsentierte, hatte sie im Anschluss jede Menge neue Kontakte, sogar von großen, weltweit agierenden Unternehmen. „Das kam völlig unerwartet“, sagt sie, „Eigentlich hätte ich mich nach dem Studium in einem Designstudio als Produktdesignerin bewerben wollen. Aber jetzt bin ich Vollzeit damit beschäftigt, Soapbottle weiter zu bringen“, sagt sie, „ich hätte nicht gedacht, dass mir das so viel Spaß macht“.
„Wenn man in seinem Talent bleibt, ist das alles nicht allzu anstrengend“, meint Yasmin Olteanu. Sie ist Professorin für Betriebswirtschaftslehre/Entrepreneurship an der Beuth Hochschule für Technik Berlin und spezialisiert auf Sustainable Entrepreneurship, also auf Unternehmensgründungen, die nicht nur finanzielle sondern auch ökologische und gesellschaftliche Unternehmensziele verfolgen. Außerdem verfasst sie als wissenschaftliche Autorin den jährlich erscheinenden vom Borderstep Institut für Innovation und Nachhaltigkeit herausgegebenen Green Startup Monitor. Ihre Studierenden versucht sie vor allem dazu zu bringen, an ihre intrensische Motivation ranzugehen: „Ich frage: Wo würden Sie gerne etwas verändern? Wofür brennen Sie? An welche Zielgruppe haben Sie dabei gedacht? “ Wenn die innere Motivation klar sei, könne man sich weiteres Wissen aneignen – oder, wenn man berufsbiographisch schon einen Schritt weiter ist, sich entsprechende Kompetenzen dazu holen.
So wie Sebastian Müller. Er hat vor fünf Jahren zusammen mit seiner Partnerin Hannah Cheney das Berliner Start-Up HALM gegründet, das Trinkhalme aus recycelbarem Glas herstellt und diese an Gastronomieunternehmen und Privatleute verkauft. „Ich wusste vorher weder, wie man Glas herstellt, noch kannte ich mir im Wirtschaftszweig Gastronomie aus“, sagt Müller. Deshalb suchte er sich Produktionspartner mit dem entsprechenden Wissen – und recherchierte selbst. Im Jahr 2004 hatte Müller sein Wirtschaftsingenieurstudiums zu Gunsten eines Jobs im Bereich E-Commerce noch vor dem Examen aufgegeben und zehn Jahre als Head of Operations in einem Berliner Ecommerce Unternehmen gearbeitet. Doch dann zog er einen Schlussstrich. „Ein gut bezahlter Job in einer erfolgreichen Firma hat mir nicht mehr gereicht. Ich wollte Dinge verkaufen, die die Welt ein bisschen besser machen“, sagt Müller.
Die Idee kam ihm auf einer Thailandreise, das war 2015: „Beim Strand-Cleanup als Hochzeitsgast auf einer winzigen Insel fanden wir Massen an Plastiktrinkhalmen. Warum die nicht durch Trinkhalme aus Glas ersetzen? Und in Deutschland kennen wir uns ja traditionell mit der Glasherstellung aus.“ Gedacht, getan – zurück in Berlin suchte Sebastian Müller Kontakt zu Menschen, die sich mit Glasproduktion auskannten. Er fand sie bei einem Produzenten für Spezialgläser. „Uns war der Nachhaltigkeitsgedanke extrem wichtig. Die Halme sollte haltbar sein – und recyclebar“, betont der 39-Jährige. Das Start-Up läuft nach wie vor gut – obwohl sein Hauptabnehmer, die Gastronomie, im vergangenen Jahr pandemiebedingt ziemlich gelitten hat. „Wenn du in neue Bereiche vorstößt, darfst du keine Angst vorm Stolpern haben“, sagt Müller, „und du brauchst einen langen Atem.“
Yasmin Olteanu sieht das ähnlich und zählt auf, was Gründer brauchen – gerade, wenn sie in den Nachhaltigkeitssektor gehen wollen: Risikobereitschaft, einen starke Glaube an ihre eigene Selbstwirksamkeit, einen gesunden Umgang mit dem Scheitern: „Eigentlich besteht der Tag daraus, ständig ein neues Problem zu finden, das man irgendwie lösen muss. Das muss einem Spaß machen. Wenn man gerne nach Plänen arbeitet und sich leicht irritieren oder stressen lässt, ist man da nicht so richtig aufgehoben.“
Olteanu selbst kommt aus der Praxis: Vor ihrem Wechsel in die Wissenschaft hat sie unter anderen in Berlin das Start-Up Solarkiosk mit aufgebaut: Solarbetriebene Kioske für Dörfer im Subsahara-Gebiet in Afrika, die von der Stromversorgung abgeschnitten waren. Der Solarstrom der Kioske speist einen Kühlschrank, in dem nicht nur Lebensmittel und Getränke kühl gehalten werden können, sondern auch Medikamente und dient zum Aufladen von Handys und Solarlampen. Zu viel produzierter Strom wird weiterverkauft an Schneiderwerkstätten und Friseure, die sich um die Kioske ansiedeln. Während der Corona-Pandemie wurde mancherorts aus zwei Solarkiosken eine Miniklinik mit medizinischer Grundversorgung.
„Für mich hatte diese Zeit einen ganz großen Mehrwert. Das Hands-On-Praktische zu lernen, mit Herausforderungen umzugehen – etwa, was man macht, wenn in Tansania die Regenzeit ausbleibt und unsere Kunden dann ihre Leasingraten nicht mehr zahlen konnten. Da mussten schnell pragmatische Lösungen gefunden werden, die verhindern, dass die Kunden – unverschuldet – ihren Zugang zu Elektrizität verlieren, aber gleichzeitig mussten wir die finanzielle Stabilität unseres Unternehmens im Auge haben“, sagt Start-Up-Spezialistin Olteanu. Nach ihren Erfahrungen sind grüne Start-Ups in nahezu allen Branchen unterwegs allerdings mit drei klaren Schwerpunkten: In den Branchen Agar- und Landwirtschaft, Energie und Elektrizität und in der Textilbranche liegt der Anteil der grünen Startups bei 60% oder mehr. „Das heißt, grüne Startups treiben hier den nachhaltigen Strukturwandel in diesen Branchen besonders stark an“, erklärt Oltenau.
Auch das Start-Up Kleiderly der Wahl-Berlinerin Alina Bassi kann man der Textilbranche zurechnen. Bassi, studierte Verfahrenstechnikerin, hat aus Altkleidern eine nachhaltige Kunststoffalternative entwickelt. Aus diesem Material entstehen Kleiderbügel, stylische Sonnenbrillen und seit neustem auch Möbel. „Ich wollte schon immer im Bereich Nachhaltigkeit arbeiten, hatte aber eher an etwas mit Windenergie oder Solarstrom gedacht“, sagt Alina Bassi, „jetzt ist es Recycling von Kleidern geworden.“ Die Anfangszeit im Jahr 2019 sei sehr hart gewesen: „Ich war neu in Berlin, kannte niemanden aus der Start-Up-Szene.“ Eine Anschubfinanzierung des Berliner Senats half ihr – und ihre Begeisterung. „Ich war absolut überzeugt von meiner Idee. Wenn das nicht gewesen wäre, hätte ich aufgegeben.“
Ein Start-Up wird Soapbottle-Erfinderin Jonna Breitenhuber nicht gründen. „Ich habe es mir überlegt und mich vom Career-Service der Uni dazu beraten lassen. Mir wäre das Risiko zu hoch, ich wollte nicht das gesamte Paket alleine tragen.“ Jetzt hat sie eine Niederländische Kosmetikfirma als Partner gefunden, der ihr bei der Produktentwicklung hilft. Vor ihrem Masterstudium hat die Nürnbergerin an der Technischen Hochschule Regensburg Produktdesign studiert. „Das hat sich gut mit dem Masterstudium an der UdK in Berlin ergänzt: Das Bachelor-Studium war eher technisch, der Master künstlerisch.“ Jetzt, bei der Produktentwicklung, kommt ihr beides zu Gute: „Ich finde es toll, nachhaltige Materialien mit zu entwickeln und ein Projekt von vorne bis zur Endproduktion durchzuarbeiten.“
Ohne das Thema Nachhaltigkeit mitzudenken, geht es gesamtwirtschaftlich gesehen gar nicht mehr. „In die Zukunft geschaut, sehe ich noch drei ganz dicke Nüsse, die wir knacken müssen: Die sind im Bereich Mobilität und in der Bau- und Stadtentwicklung. Da sind wir noch alles andere als nachhaltig unterwegs“, sagt Yasmin Olteanu, „gerade in diesen Bereichen bräuchten wir noch mehr Innovation.“
erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 31. Dezember 2021