Inselhopping auf Kroatisch

Noch zieht es nicht allzu viele zum Rennradfahren in die Gegend um Zadar im Norden Dalmatiens in Kroatien. Toni Dujmenovic will, dass sich das ändert. Der 35-Jährige Kroate, ehemaliger Tennisprofi und -Coach und schon seit ein paar Jahren Sportmanager bei einer großen Hotelkette, hat deshalb im letzten Herbst (in Zadar einen Grandfondo organisiert. Immerhin ein paar Hundert Rennradfahrer waren dabei. „Nächstes Jahr werden es 1000 Teilnehmer“, wünscht sich Rennleiter Toni, „unsere Strecken sind super.“ Am Liebsten fährt er selbst Richtung Insel Vir – das gehört auch zu den Grandfondo-Strecken. 

Toni hat so sehr geschwärmt, dass ich mich gleich aufmache, um seine Lieblingstour auszutesten. An der Fußgängerbrücke, die zur Altstadt von Zadar rüberführt, soll’s losgehen. Wirklich grandios, der Blick auf Zadar: Hinter den dicken Stadtmauern, die übrigens seit 2017 zum UNESCO-Welterbe gehören, lockt die Stadt mit ihren zahlreichen Kirchen und rausgeputzten historischen Gebäuden. Im Hafenbecken haben ein paar kleinere Schiffe geankert, und gerade setzt die Ruderfähre, die nach wie vor von einem bei der Stadt angestellten Fährmann betrieben wird, ein paar Touristen über. Abends muss ich unbedingt etwas Zeit für einen Stadtbummel einplanen, besonders zum Sonnenuntergang. Da will ich mir den „Gruß an die Sonne“ und die Meeresorgel anschauen, zwei Licht- und Klanginstallationen direkt am Meer. Aber jetzt: rasch auf‘s Rad geschwungen und über leider nicht ganz verkehrsarme Straßen raus aus der Stadt. Ich lasse den dichtesten Verkehr bald hinter mir, breite, weitgehend flache Straßen bringen mich immer weiter ins Hinterland. Die Zykaden lärmen, es riecht nach würzigen Kräutern, da fährt es sich gleich leichter. Dann, endlich, das Meer und die Insel Vir, mit dem Festland verbunden über eine Brücke. Das Wasser schimmert verlockend. Dieses Blau! Toni hat von phantastischen Badebuchten erzählt, aber baden im Meer und danach mit Salzwasser auf der Haut auf’s Rad, das passt nicht so richtig. Also weiter, der Ginster blüht, immer wieder schimmert das Meer durch. Nach etwas mehr als zehn Inselkilometern rolle ich über eine sanfte Abfahrt durch einen schattigen Kiefernwald bis zum äußersten Ende der Insel an einen kargen, einsamen, felsigen Strand. Die Straße führt einmal um die Inselspitze herum, nur wenige Meter entfernt branden die Wellen an und vis à vis baut sich die Insel Pag auf, eine der größten hier um Zadar. 

©Martin Kirchner
Am Hafen der Insel Pag. Foto: ©Martin Kirchner

Auf dem Rückweg stoppe ich in Nin. Da steht die angeblich kleinste Kathedrale der Welt. Sveti Križ heißt sie, Heiligkreuz, aus dem 9. Jahrhundert, eine schmucklose Minibasilika aus Kalkstein, und gleich nebenan sieht man die Fundamente eines römischen Tempels. Nin gilt als beste romantische Destination. Findige Touristiker haben sich diese Qualifikation ausgedacht und besonders lauschige Ecken zu Kussecken deklariert. Küssen sehe ich keinen, aber malerisch ist das Städtchen wirklich. Beim Rausfahren schmeckt die Luft ganz salzig – im Südosten von Nin erstrecken sich die Salzgärten, in denen heute noch Salz gewonnen wird. 

Auf der nächsten Tour will ich mir die Insel Pag anschauen, die sah man ja schon von Vir aus. Ich spare mir die zeitraubende Anfahrt über’s nicht ganz so abwechslungsreiche Hinterland, packe das Rad ins Auto und parke an der Brücke nach Pag.

Was ein Anblick! Kahl wie eine Mondlandschaft erstreckt sich die Insel, bewacht von den Überresten einer Burg, die sich im selbstverständlich auch hier azurblauen Meer spiegeln. Darüber spannt sich der strahlend blaue Himmel. Eine Hauptstraße führt fast schnurgerade 60 Kilometer über die Insel. Dennoch ist die Fahrt alles andere als langweilig. Nach dem Hauptort Pag wartet eine gar nicht unbeträchtliche Steigung, und dann führt die Straße in stetigem Auf- und Ab immer weiter, rechts und links weiden Schafe – erstaunlich, dass sie auf dem mageren Weideland genügend zu Fressen finden. Angeblich 20.000 wollige Inselbewohner leben auf Pag, ihre Milch dient der Herstellung des legendären Pager Käse Paški sir, für den an fast jeder Ecke geworben wird. 

Die Venezianer sind übrigens dafür verantwortlich, dass auf der Insel – wie auf vielen anderen auch im Archipel vor Zadar – so gut wie kein Baum und auch nur wenige Sträucher gedeihen. Als sie im 13. Jahrhundert die Herrschaft in Dalmatien übernahmen, brauchten sie Holz für ihre Schiffe, was einen ziemlichen Kahlschlag zur Folge hatte. Die Winde, die dann ungehindert über die Insel fegen konnten, verhinderten eine Aufforstung. 

Kurz vor Novalja mehren sich die Neubauten – und die Werbeplakate für Festivals am 

Zrće Beach. Da steigt Nacht für Nacht die ganz große Party, allein am Strand beschallen vier Clubs die Partypeople, DJ-Promis aus Berlin und anderswo werden dafür eingeflogen und wer noch nicht genug hat, kann in den Clubs in Novalja weiter feiern. Weil jetzt sowieso nicht die richtige Zeit für Party ist, fahre ich weiter Richtung Inselende. Der Kontrast zum schillernden Feier-Novalja könnte kaum größer sein: die schmale Inselstraße führt vorbei an dicken silbrigen Olivenbäumen, von denen einige angeblich 1000 Jahre alt sind. Erst in Tovarnele, das zu Lun gehört, geht es nicht mehr weiter. Tovarnele ist ein Dörfchen mit echtem Ende-der-Welt-Groove: Ein paar einsame Ferienhäuser, das Meer plätschert leise, und im Café Ruzmarin gibt’s Kaffee und Eis zum Stärken für die Rückfahrt.

Nach der Tour auf Pag bin ich auf den Inselgeschmack gekommen – und will mir Ugljan anschauen. Schon die Fahrt zum Fährhafen macht großen Spaß, immer entlang der historischen Stadtmauer mit Blick auf‘s Meer. Nach einer kurzen Überfahrt von nicht mal einer halben Stunde auf der Fähre laufen wir im Hafen von Preko auf Ugljan ein. Und schon baut sich der erste echte Berg auf. Zuerst schwingt sich die Straße freundlich hoch über Preko, und ich kann noch der gerade ausfahrenden Fähre nachwinken, dann wird es steil und immer steiler bis zur ehemaligen Festung Sv. Mihovil hoch. Eine echte Schinderei, aber mit Belohnung: von hier oben liegt mir die gesamte Inselwelt zu Füßen, und wäre die Sicht noch etwas klarer als jetzt um die Mittagszeit könnte man sogar die italienische Küste erahnen. 
Ruhige Straßen mit wenig Verkehr bringen mich weiter bis zur Insel Pazman. Sie ist mit Ugljan durch eine hohe Brücke verbunden. Dieser Blick! Stundenlang könnte ich auf der Brücke stehen bleiben, Segelboote zählen oder schauen, wie Schiff um Schiff durch das fast unwirkliche Meeresblau pflügt. Vielleicht sollte ich doch mal über einen Segelurlaub nachdenken. 

Mit Meerblick schmeckt der Café nochmal besser. Foto: ©Martin Kirchner

Vor lauter Meeresbegeisterung verpasse ich die Fähre in Tkon. Macht aber nichts, nebenan findet sich ein nettes Café, und ich überlege, doch mal schnell ins Wasser zu springen, das Café hat sogar eine Dusche. Badesachen habe ich vorsichtshalber in den kleinen Rucksack gepackt. Also schnell im Meer abgekühlt, unter die Dusche und in die Radklamotten. Da kommt schon die Fähre, weiß und majestätisch schiebt sie sich in den Hafen. 

Die Überfahrt ist viel zu schnell rum; kaum habe ich das Rad unten abgestellt, um vom Oberdeck aus besser auf die Inselwelt schauen zu können, legen wir schon in Biograd an. Die Rückfahrt über Land geht über ruhige Straßen vorbei an Feldern und kleinen Bauernhöfen. Immer wieder schieben sich Landschildkröten aus der Böschung an den Straßenrändern in suizidaler Absicht auf die Straße. Auch wenn’s etwas Zeit kostet – die muss ich retten. 

In Sukošan kurz vor Zadar stoppe ich nochmal, um einmal über Kroatiens größte Marina zu kurbeln. 1200 Liegeplätze hat sie, angeblich ist hier einer der besten Startpunkte für Segeltörns in Kroatien. Während ich an Schiffen aller Größe vorbeifahre, denke ich über meinen nächsten Urlaub nach – vielleicht mal eine Kombi aus Radfahren und Segeln? Wäre hier in Dalmatien ideal. Ein Rad müsste ja eigentlich auf einem Segelboot Platz finden. 
Erschienen in: TOUR-Magazin 6/2023