Im Urlaub in die Berge oder ans Meer? Diese Frage hat schon Beziehungen scheitern und Ehen zerbrechen lassen. Gut, dass es Slowenien gibt: Flächenmäßig gerade mal halb so groß wie die Schweiz und mit so ziemlich allem gesegnet, was sich das Urlauberherz wünscht. Dann los!
Die meisten Radtouristen folgen dem Fluss Soča von der Quelle in den Bergen aus, durchqueren das Soča -Tal und biegen dann nach Italien ab, wo die Soča – auf italienisch heißt sie Isonzo – in den Golf von Triest mündet. Wir wollen – so weit es möglich ist – in Slowenien bleiben: über die Julischen Alpen, durch’s Weinland und über den Karst bis ans Meer – ans slowenische Mittelmeer.
Kranjska Gora, unseren Startpunkt, kennen Skifans von den Skicup-Meisterschaften. Von hier aus windet sich eine Passstraße in exakt 25 Serpentinen hoch zum Vršič-Pass – und in genauso vielen Kurven wieder runter ins Soča-Tal. Kurz nach Kranjnska Gora stoppt ein postkartenschöner kleiner künstlicher See die Auffahrt, der Jasna-See. Jede Menge Ausflügler flanieren um den Jasna, machen Selfies, testen die Wassertemperatur. Es ist eindeutig zu kalt zum Baden. Doch das Wasser ist so klar, dass man kaum sieht, wo das Ufer aufhört und der See anfängt. Martin, der Fotograf, holt sich beim Fotografieren gleich zwei Mal nasse Füße – zum Glück finden sich in der Packtasche trockene Ersatzsocken.
Weiter geht’s nach oben, Kurve um Kurve. Nett, dass jede Kehre nummeriert ist, so weiß man genau, wie viele Kurven es noch bis zum Pass sind. Der Vršič-Pass ist übrigens Sloweniens höchster asphaltierter Gebirgspass – und einer mit dramatischer Geschichte: Für den Bau der Straße wurden während des Ersten Weltkriegs russische Kriegsgefangene zwangsverpflichtet. Bei einem Lawinenunglück kamen über Hundert dieser Zwangsarbeiter ums Leben, heute steht zur Erinnerung daran mitten im Wald eine russische Kapelle mit Zwiebeltürmen.
Kehre um Kehre, Kurve um Kurve schraubt sich die Passstraße nach oben. Die nackten Felsen kommen näher, über uns spannt sich ein blauer Spätsommerhimmel, das macht den Aufstieg etwas leichter. Die Kehren haben an ihren Scheitelpunkten übrigens Kopfsteinpflaster – etwas gewöhnungsbedürftig, aber machbar.

Kehre 23, 24 und dann endlich 25 – wir sind oben! Dort treffen wir Chris aus Devon, der sich am Kiosk zur Belohnung ein Eis und ein Pass-Bier geholt hat. Er hat sich in Bled ein Rennrad geliehen und fährt den Pass in umgekehrter Richtung hoch. „Just great“, sagt er noch, bevor er sich eine Windjacke überstreift und abwärts nach Kranjska Gora kurvt.
Wir rauschen in der Gegenrichtung den Pass runter. Bei Kurve Nr. 49 zeigt der Wegweiser zur Soča -Quelle – da müssen wir hin. Also nochmal ordentlich bergan, die Räder sicher unterhalb des Wanderwegs abgestellt und zu Fuß weiter. Weit ist es nicht, aber der Weg zur Quelle hat eine Überraschung parat: Immer schmaler und steiler wird er, die letzten paar Meter heißt es durch den Fels klettern, gesichert mit einem Drahtseil, an dem man sich festhalten kann. Klettersteig-Feeling! Die Quelle selbst liegt versteckt in einer Höhle, aus der sie sich über Felsen steil bergab ergießt.
Ab jetzt bleiben wir in Soča -Nähe. Aus dem Bach wird schnell ein Flüsschen und bald ein breiter Fluss mit türkis schimmerndem Wasser. In Velika Koritka schäumt unsere Soča durch eine tiefe Schlucht, ihr Tosen hört man schon von der Straße aus.
Wo man heute die schönsten Gebirgstouren machen kann, wütete vor mehr als 100 Jahren eine der schlimmsten Schlachten des Ersten Weltkriegs: Entlang der Soča verlief die Isonzo-Front. Mehr als 300.000 Menschen kamen bei den insgesamt zwölf Offensiven ums Leben. Im Weltkriegsmuseum in Kobarid erinnern große schwarz-weiß Fotos an 36 von mehreren Hunderttausend Menschen aus 17 Nationen, die in diesem grauenvollen Krieg ihr Leben lassen mussten: vom weißbärtigen Großvater über die fröhliche Krankenschwester bis zu hoffnungsvoll strahlenden jungen Männern, die in ihren Uniformen stolz vor der Kamera posieren – alle sind sie im Krieg umgekommen. „Jeden Abend, bevor wir Museumsmitarbeiter nach Hause gehen, verneigen wir uns vor diesen Menschen“, sagt Frau Arcet, die im Museum Kobarid an der Kasse sitzt. Ernest Hemingway hat übrigens den Ereignissen damals mit seinem Roman „Wem die Stunde schlägt“ ein literarisches Denkmal gesetzt.

Nachdenklich fahren wir weiter. Jetzt erst kommt ins Bewusstsein, wie jung Slowenien als eigenständige Nation ist, wie sehr es ringen musste, um seine Identität zu behalten. Innerhalb von 100 Jahren wehten über Slowenien zehn Landesflaggen, erst seit 1991 ist es beständig die Slowenische.
Bei Plave verlassen wir unsere Soča, weil wir hoch ins Weinland wollen. Herrlich ist es hier, die Landschaft hat es etwas von einer Mini-Toskana mit Weinbergen, sanften Hügeln und weiten Blicken übers Land. In Šmartno treffen wir Vesna Valentinčič. Sie hat mit ihrer Familie im alten Schulhaus ein Hotel aufgezogen und weiß alles über die Region. Wein gab es hier schon unter der Österreich-Ungarischen Regierung, erzählt sie uns. Als Slowenien Teil von Jugoslawien war, blühte der Schwarzmarkt. „Meine Oma hat unter ihren weiten Röcken Grappa über die italienische Grenze geschmuggelt“, sagt Vesna, „Und unser Fiat 1300 hatte im Boden einen Extra-Raum für die 5-Liter Flasche mit Olivenöl.“ Das war allerdings ziemlich sicher nicht so edel wie das, was Timon Bratasevec in seinem Oliven-Weingut Vila Eva herstellt. Sein Öl ist fast so etwas wie flüssiges Gold. Es brennt leicht im Hals, schmeckt etwas bitter und unvergleichlich würzig. Stolz zeigt uns Timon seine Olivenbäume – 600 hat er davon. Pressen lässt er in Koper am Meer, bei einem Mann, den er nur seinen Maestro nennt. „Du brauchst Geduld, um das alles zu lernen“, sagt Timon. Es lohnt sich – mit seinem exquisiten Öl hat er schon viele internationale Preise gewonnen.

Früher wuchsen in Timons Olivenhain Reben. Denn schon zu Titos Zeiten wurde hier Wein angebaut, dessen Qualität allerdings zu wünschen übrig ließ. „Es gab nur Genossenschaften“, erinnert sich Vesna, „die hatten ein Produktionssoll von 20 Millionen Liter Wein pro Jahr. Das ging nur mit Wasser und Sulfit“. Heute produzieren 450 Bauern und 120 Privatwinzer Wein – gerade mal 10 Millionen Liter pro Jahr. Dafür stimmt die Qualität.
Weiter geht es runter ins Vipava-Tal, wieder durch die Weinberge. Dekorativ zieht der Nebel die Berge hoch als wir uns einen Tag später frühmorgens in Richtung Karst aufmachen. Dort fahren wir am Abzweig zu den Höhlen von Skocjan vorbei – schweren Herzens, ist das weitverzweigte Höhlensystem Škocjanske Jame doch eines der absoluten Highlights. Aber für die Besichtigung der Höhlen und unterirdischen Canyons braucht es Zeit – und wir haben bis zum Meer noch einige Kilometer vor uns.

Und da ist es dann, endlich – das Meer. Schimmernd liegt es vor uns, beschienen von der Frühabendsonne. Eintauchen und schwimmen, sofort! Aber es braucht noch ein paar Kurven und Anstiege, bis wir endlich in Strunjan sind. Kurz vor Sonnenuntergang klappt es dann noch mit einem Abendbad. Was nicht klappt, ist ein Bummel durch die Altstadt von Piran, denn die ist gesperrt wegen Filmarbeiten. Netflix dreht dort gerade einen Agententhriller mit Stars wie Mark Wahlberg und Halle Berry. Auch Filmleute wissen, wo es schön ist.
Erschienen in: MYBIKE 3/2023