Nervosität, kritische Fragen, Lücken im Lebenslauf: Der Karriereberater Jürgen Hesse erklärt, wie man jedes Bewerbungsgespräch meistert. Ein Interview
Herr Hesse, Sie waren nach Ihrem Psychologie-Studium fast ein Jahr lang selbst arbeitslos. Hat das Ihrer beruflichen Laufbahn geschadet?
Damals habe ich gedacht, die Welt wartet auf mich. Aber von wegen, die hat überhaupt nicht auf mich gewartet. Schon beim Schreiben des Lebenslaufs musste ich mich ziemlich abquälen. Als ich dann zu meinem ersten Vorstellungsgespräch eingeladen wurde, habe ich eine ziemlich schlechte Figur abgegeben. Man wollte, dass ich das Forschungsergebnis meiner Diplomarbeit kurz und knapp zusammenfasse. Da bin ich ins Stottern gekommen. Vor dem nächsten Bewerbungsgespräch habe ich dann so schlecht geschlafen, dass ich mit einem Torticollis aufgewacht bin, einem Schiefhals, das ist eine typische psychosomatische Erkrankung. Mit meinem schiefen Hals bin ich ins Bewerbungsgespräch gegangen und habe mir im Gespräch große Mühe gegeben. Das hat gefruchtet, ich wurde genommen.
Offensiv mit – in diesem Fall körperlichen – Schwäche umgehen: Raten Sie das auch anderen Bewerbern?
Mein schiefer Hals war ja nicht zu übersehen, und ich habe erklärt, dass ich vor Aufregung kaum schlafen konnte. Ein Bonuspunkt war sicher, dass man mich dort, wo ich mich beworben habe, schon kannte. Ich rate Bewerbern eigentlich immer, offensichtliche Schwächen besser selbst anzusprechen. Wenn Sie zum Beispiel sehr aufgeregt sind – thematisieren Sie das kurz. Dann legt sich die Aufregung.
Arbeitslosigkeit, lange Auszeiten, Krankheiten – es gibt ja viele Gründe für Lücken oder Brüche im Lebenslauf. Sollte man die lieber verschweigen?
Was heißt das, eine Lücke oder Bruch? Bedeutet das, Sie haben da nicht gelebt? Waren Sie schockgefroren? Wenn Sie Ihre Vita darstellen, dann kommt es darauf an, dass Sie diese vermeintlichen Lücken so präsentieren, dass sie nicht zu stark herausstechen. Vermeiden sollten Sie Formulierungen wie: Von 2011 bis 2012 arbeitssuchend oder arbeitslos. Für Hochschulabsolventen ist es übrigens vollkommen normal, nach dem Studienabschluss nicht sofort in ein festes Arbeitsverhältnis zu wechseln. Nach der Uni gibt es eine Toleranz von gut einem Jahr.
Ab welchem Zeitraum schauen Personalverantwortliche genauer hin, wenn sich im Lebenslauf eine Lücke auftut?
Prinzipiell haben Personaler keinen Schmerz, jemanden zu nehmen, der ein paar Monate ohne Job war. Im Gegenteil, diese Bewerber sind hoch motiviert. Sie sollten nur aufpassen, dass dieser Zeitraum nicht zu groß wird. Gerade bei jemand, der etwas älter ist, wächst die Gefahr, dass man zu hören bekommt: Sie sind jetzt 53, wollen Sie überhaupt noch arbeiten? Dem sollten Sie vorbeugen, indem Sie eine gute Erklärung für die sogenannten Lücken liefern. Aus- und Fortbildungen, Selbstständigkeit, ehrenamtliche Tätigkeit sind da gute Stichworte. Wenn Sie im Ausland waren, haben Sie Sprachkurse gemacht, gejobbt und Ihre interkulturelle Kompetenz erweitert. Die Familienzeit haben Sie auf mehrere Jahre ausgedehnt und waren ehrenamtlich im Kindergarten oder bei einer Elterninitiative engagiert. Dabei müssen nicht alle Erklärungen absolut der Wahrheit entsprechen.
Sie ermuntern Ihre Klienten zum Lügen?
Sie sollten auf keinen Fall lügen, wenn es um berufliche Kompetenzen geht. Wenn Sie behaupten, der größte Computerfreak zu sein, und in Wahrheit können Sie das Ding gerade mal wie eine etwas intelligentere Schreibmaschine benutzen – das kommt schnell raus. Das A und O der Bewerbung ist es, einen roten Faden zu haben. Selbst wenn es Unterbrechungen gibt – weil ich die Eltern gepflegt habe, ein Haus gebaut habe – dann muss ich sehen, wie ich das gut in meine Vita einbaue. Denn als Bewerber sollte ich mich von meiner besten Seite präsentieren. Ich sehe Bewerber als Unternehmer, als Problemlöser. Der Arbeitgeber – ich sage lieber Auftraggeber – hat ein Problem, und ich kann mit meinen Fähigkeiten beim Lösen helfen. Dazu muss ich mir aber darüber klar werden, was ich anzubieten habe. Da darf ich nicht hängen bleiben bei einer Frage wie: Was war vor zwei, drei Jahren, warum haben Sie da nach so kurzer Zeit die Firma verlassen? Sie sollten jedoch in jedem Fall eine Antwort darauf haben, falls nachgefragt wird.
Wie würden Sie ein schlechtes Abitur oder einen schlechten Studienabschluss begründen?
Der Abschluss an sich ist wichtig, die Note weniger. Fragt ein Personaler danach, möchte er vor allem wissen, wie der Bewerber mit so einer Frage umgeht. Geben Sie angemessen Auskunft, reagieren Sie charmant. Ich musste zum Beispiel eine Klasse wiederholen, weil ich ein Vollversager in Latein war. Das würde ich in einem Bewerbungsgespräch genau so sagen. Die charmante und witzige Variante wäre: Ich war 14 Jahre an der Schule, ich konnte mich gar nicht trennen. Nun sind schlechte Noten im Vergleich zu anderen Brüchen im Lebenslauf harmlos.
Was ist mit schweren psychischen Erkrankungen, mit Drogensucht oder Vorstrafen? Muss ich darüber Auskunft geben?
Arbeitsrechtlich gesehen muss ein Bewerber auf solche Fragen nicht antworten; und wenn er doch antwortet, muss er nicht bei der Wahrheit bleiben. Eine Ausnahme: Wenn es um Vorstrafen geht. Danach darf gefragt werden, wenn das für die künftige Tätigkeit des Bewerbers wichtig ist, etwa bei einer Bewerbung bei einem Sicherheitsdienst. Wenn Sie länger als ein Jahr ausgefallen sind und das aus Gründen, die Sie nicht unbedingt in einem guten Licht dastehen lassen, dann ist es wirklich sinnvoll und nötig, dies etwas anders zu präsentieren. Der Personaler will nicht ihre Scheidungsgeschichte im Detail wissen. Da wäre eine schonungslose Offenheit völlig fehl am Platz
Und wenn nachgebohrt wird?
Dann muss man auch mal sagen können: halt, stopp, ich muss hier nicht meine Krankenhausaufenthalte auflisten und meine Alpträume erzählen. Das ist meine Grenze. Denken Sie immer daran: Im Bewerbungsgespräch wollen Sie die Menschen, mit denen Sie später unter Umständen zusammenarbeiten, kennenlernen. Natürlich sollten Sie auch Auskunft über Dinge geben, die in Ihrem Leben nicht so glatt gegangen sind oder die Sie nicht so gut können – nur nicht so vernichtend, dass Sie dabei selbst den Stab über sich brechen.
erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 18. November 2019
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