„Warum machst du denn so was Trauriges?“ Als Kathrin Enderer ihren Freunden erzählte, dass sie sich für eine Ausbildung zur Trauerbegleiterin entschieden hatte, reagierten viele irritiert. „Und dann fingen sie an, mir ihre eigenen Geschichten von Tod und Trauer zu erzählen“, sagt die 45-Jährige. Enderer hat im September dieses Jahres die sogenannte Große Basisqualifikation Trauerbegleitung abgeschlossen. Acht Module umfasste die Fortbildung. Jeweils Freitag, Samstag, Sonntag fuhr sie von ihrem Wohnort Vaterstetten bei München in die bayerische Landeshauptstadt zum Institut für Trauerpädagogik, das in Räumen eines Bestattungsinstituts am Münchner Westfriedhof seine Seminare anbietet. Zur Ausbildung gehören in München zudem jeweils 20 Extra-Stunden für Supervision und Intervision. Bei der Supervision ist eine Gruppenleitung mit dabei, bei den Feedbackrunden der Intervision bleiben die Teilnehmer unter sich. Das alles war anstrengend für Enderer, vor allem neben ihrer Arbeit in der Pension ihrer Eltern, wo sie aushilft, seit sie nicht mehr als medizinische Fachkraft arbeitet. 3600 Euro hat sie für die Weiterbildung aus eigener Tasche bezahlt. Die Motivation? „Ich leite seit ein paar Jahren ehrenamtlich Kommunion- und Firmgruppen und habe gemerkt, dass die Kinder und Jugendlichen gerne über Tod und Trauer sprechen wollen, sich aber nicht trauen.“ In ihrer Abschlussarbeit hat Kathrin Enderer, Mutter einer 15-jährigen Tochter, ein Konzept zum Umgang mit Trauer und Tod an Schulen erstellt. Jetzt ist sie dabei, an Schulen ihre Dienste als Trauerbegleiterin anzubieten. Ehrenamtlich will sie das nicht machen – sie hat bereits ein Ehrenamt als Elternbeirätin.
Ob sie nur von ihrer Arbeit als Trauerbegleiterin leben könnte, ist ungewiss. Trauerbegleiter ist kein Beruf, sondern eine Qualifikation. Eine Fachgruppe des in Berlin ansässigen Deutschen Hospiz- und Palliativ-Verbandes (DHPV) hat Standards der Qualifikation von Trauerbegleitern in der Hospiz- und Palliativarbeit in einer Handreichung veröffentlicht. Anbieter, die versprechen, Menschen in Online-Kursen zu Trauerbegleitern auszubilden, sieht Marianne Bevier, Vorstand Bundesverband Trauerbegleitung in Göttingen, skeptisch: „Gerade bei diesem Thema braucht man eine feste Lerngruppe und eine zuverlässige Supervision. Denn man wird intensiv mit sich selbst und mit der eigenen Trauererfahrung konfrontiert.“ Die meisten Teilnehmer entscheiden sich für die „Große Basisqualifikation“, die mindestens 200 Einheiten à 45 Minuten umfassen muss. Am Institut für Trauerpädagogik in München absolviert man sie binnen eines Jahres.
Das Hamburger Institut für Trauerarbeit (ITA) gibt seinen Teilnehmern für die „Große Basisqualifikation“ zwei Jahre Zeit. Die Stundenanzahl liegt mit 320 Stunden höher als in den Standards vorgesehen. Über die beiden Jahre verteilt, verbringen die Teilnehmer vier Wochen und drei Wochenenden als Gruppe in einem Tagungshaus in Bad Bevensen (Niedersachsen). Die Seminarkosten liegen bei 3000 Euro. Bucht man Übernachtung und Verpflegung dazu, steigen die Kosten auf etwa 5000 Euro. Zwei Ausbildungsleiterinnen sind während des gesamten Zeitraums dabei. In den einzelnen Modulen gibt es Seminare mit verschiedenen Schwerpunkten, etwa Trauer in der Familie, Heilen durch Malen, Musiktherapie, oder Krise und Kommunikation. Die Seminare leiten externe Referenten, viele sind Psychologen und Psychotherapeuten, Theologen, Biblio- und Musiktherapeuten.
Die Nachfrage nach den Weiterbildungen wächst. „Wir sind vor 20 Jahren mit einem kleinen Kurs mit zehn Leuten gestartet, jetzt haben wir in mehreren Kursen bis zu 40 Teilnehmer pro Jahr“, sagt Karina Kopp-Breinlinger, Leiterin des Münchner Instituts für Trauerpädagogik. Im Gegensatz zur Sterbebegleitung, die fest im Arbeitsgebiet der Hospize verankert ist, wird die Trauerbegleitung erst nach und nach selbstverständlicher. „Sterbebegleitung führt eine Person an deren Lebensende. Trauerbegleitung will den Hinterbliebenen den Weg zurück ins Leben aufzeigen“, erklärt Kopp-Breinlinger. Hierbei fassen die Münchner den Begriff der Trauer weiter: „Trauer kann man nicht nur beim Tod eines Menschen empfinden, sondern zum Beispiel auch beim Verlust der Arbeit, am Ende einer Liebesbeziehung oder wenn man seine Heimat verlassen musste“, sagt die Institutsleiterin und erzählt, dass eine Absolventin Seminare für Frauen mit unerfülltem Kinderwunsch anbietet.
Jutta Rust-Kensa, eine der Leiterinnen im Hamburger Institut, beschreibt, wie sich die Nachfrage der Teilnehmer in den vergangenen 20 Jahren verändert hat: Waren es am Anfang vorwiegend Mütter, die ein Kind verloren hatten und nun anderen bei der Trauerbewältigung helfen wollten, brauchen zwei Drittel der Teilnehmer die Ausbildung zur beruflichen Qualifikation: Seelsorger, Therapeuten, Ärzte, aber auch Friedhofsgärtner. Auch Berufstätige, die nicht damit klarkommen, anderen kündigen zu müssen, besuchen die Seminare.
Teilweise übernehmen die Arbeitgeber die Weiterbildungskosten. So etwa bei einer Lehrerin aus Bayern, die zum Krisenteam ihrer Schule gehörte. Noch während der Ausbildung musste sie gleich in den Praxistest: Eine Schülerin war im Urlaub auf Bali ertrunken, ihr Vater beim Versuch, sie zu retten, ebenfalls. „Die Lehrerin musste überlegen, was am ersten Schultag passieren soll, wie man den Kontakt zu den Freundinnen herstellen kann, wie die Schulgemeinschaft damit umgehen kann. Denn jede Trauer ist anders, jeder hat zum Verstorbenen einen andere Beziehung“, sagt die Pädagogin Kopp-Breinlinger.
Madlen Grolle-Döhring ist Koordinatorin beim ambulanten Kinderhospizdienst Oskar in Rostock und hat eine Weiterbildung als Trauerbegleiterin für Kinder und Jugendliche am Institut für Trauerarbeit in Hamburg gemacht. Ihr Arbeitgeber hat sie weitgehend finanziert. „Ich wollte mehr Fachwissen, das brauche ich für meine Arbeit.“ Die Trauer von Kinder und Erwachsenen sei sehr unterschiedlich, hat Grolle-Döhring in ihrer Weiterbildung gelernt: „Kinder trauern in Pfützen, können also auch zwischendurch total fröhlich sein, dann kommt die Trauer wieder. Die Trauer von Erwachsenen ist wie ein Meer, aus dem man nur schwer ganz rauskommt“, sagt sie. Jetzt hat sie eine Kindertrauergruppe in Rostock gegründet.
Im Umgang mit Trauer habe sich in den vergangenen 50 Jahren viel getan, der Tod werde „nicht mehr so sehr tabuisiert“, sagt der Psychoonkologe Urs Münch aus Berlin. „Wir können viel offener darüber reden.“ Doch kommen auch Trauerbegleiter an ihre Grenzen. Diese zu erkennen, ist Teil der Weiterbildung. Kathrin Enderer profitiert hier von ihrer medizinischen Vorbildung: „Ich erkenne, wenn jemand psychotisch ist oder Medikamente nimmt. Dann empfehle ich, Hilfe durch eine Psychotherapie zu suchen.“ Als traurig empfand sie übrigens ihre Ausbildung nicht: „Natürlich wird man auch mit eigenen Trauererfahrungen konfrontiert. Aber wir haben auch viel gelacht“, sagt sie. Wahrscheinlich gehört beides dazu auf dem Weg zurück ins Leben: weinen und lachen.
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 12. Oktober 2017
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