Eine echte Großbaustelle: 520 Hektar misst das Gelände im badischen Immendingen, das der Autohersteller Daimler derzeit zu einem Prüf- und Technologiezentrum ausbaut. Dort, wo bis vor kurzem Bundeswehr-Soldaten der Oberfeldwebel-Schreiber-Kaserne zu ihren Truppenübungen ausrückten, kurven jetzt schon einzelne Testwagen über die ersten Wege und Straßen. Im Jahr 2018 soll alles fertig sein: bergige Strecken, Feldwege, Pflasterstein-Passagen, Tunnels, Ampeln, Kreuzungen und Gehwege – Fahrbedingungen wie im echten Leben. 200 Millionen Euro lässt sich Daimler das Bauvorhaben kosten. Auch Erlkönige, Fahrzeug-Prototypen, werden hier ihre Testrunden drehen. Um die Erlkönige, das gesamte Testzentrum und vor allem zunächst die Riesenbaustelle abzusichern und vor neugierigen Blicken oder unerlaubten Besuchern zu schützen, braucht es Menschen wie Jan Kohne. Der 26-Jährige ist bei Daimler am Standort Sindelfingen als Ingenieur für die Konzernsicherheit zuständig und entwirft gemeinsam mit seinen Kollegen Sicherheitskonzepte, unter anderem für das Prüfgelände. „Wir ermitteln alle relevanten Schutzziele und setzen diese dann mit den passenden technischen, organisatorischen und personellen Maßnehmen um“, erklärt Kohne. Mehr ins Detail gehen darf er nicht – wegen der Sicherheit. Nur so viel: Spezialkameras und -Zäune so wie ausgeklügelte Zugangskontrollen werden dafür sorgen, dass kein Unbefugter unbeobachtet das Gelände betritt. Das kann man zum Beispiel über so genannte Vereinzelungsanlagen regeln. Die gibt es in einfacher Ausführung, etwa als Drehkreuz, aber auch als hochtechnisierte Personenschleusen: Durch Gesichtserkennung oder mittels Fingerabdruck-Scanner kann man überprüfen, ob sich hier wirklich die richtige Person Zutritt verschaffen will.
Kohne ist seit einem knappen Jahr bei Daimler beschäftigt. Vorher hat er an der Hochschule Furtwangen Security & Safety Engineering studiert. Ins Deutsche übersetzt bedeuten beide Begriffe Sicherheit. Das englische Wort Safety meint Arbeitssicherheit und vor allem Arbeitsschutz, Schutz vor Unfällen, vor Strahlen, vor Bränden, Explosionen – das klassische Arbeitsfeld für Sicherheitsingenieure. Der zweite Studienbereich Security umfasst vorsätzliche Gefährdungen, vor denen sich ein Betrieb schützen will: Industriespionage, Produktpiraterie; Hackerangriffe. Aber auch Szenarien wie Terrorangriffen oder Naturkatastrophen wie Sturmfluten oder Erdbeben gehören dazu, denn auch sie können logischerweise Mitarbeiter und Arbeit in einem Betrieb gefährden.
Eine Katastrophe war der Anlass für die Gründung des Studienfachs, das so nur die Hochschule Furtwangen anbietet. „In einer Diskussion nach den Anschläge auf das World-Trade Center im September 2001 kam die Frage auf, wie wir als Hochschule ein Studium bereitstellen können, das die Fragen der Sicherheit umfassend abdeckt“, sagt Ludger Stienen, Professor und Studiendekan im Fachbereich Security Engineering an der Hochschule Furtwangen, „Security & Safety Engineering geht von einem ganzheitlichen Sicherheitsverständnis aus.“ Deshalb vermitteln Seminare nicht nur Ingenieurswissen, sondern zusätzlich Soft Skills, etwas aus dem Bereich der Arbeits- und Organisations-Psychologie: Wie gehe ich mit außergewöhnlichen Belastungssituationen um? „Das ist dann wichtig, wenn man zum Bespiel als Sicherheitsingenieur in einem Krisenstab mitarbeitet, etwa bei der Feuerwehr“, sagt Professor Stienen. Oder Sozialkompetenz. Stienen: „Wir diskutieren ethische Fragen wie zum Konflikt zwischen Sicherheit und Freiheit.“
Tara Rauscher, 22 Jahre alt und gerade mit ihrer Bachelor-Arbeit in Security & Safety-Engineering fertig geworden, weiß jetzt schon, dass sie im Bereich Konzernsicherheit und Krisenmanagement arbeiten will. „Ursprünglich zog es mich zum BKA, doch da fehlte mir der technische Bezug“, sagt die Studentin, „wenn ich zum Beispiel ein Konzept für ein neues Sicherheitssystem erstelle, muss ich wissen, wie eine Überwachungskamera aufgebaut ist. Schließlich geht es da um viel Geld.“
60 bis 70 Prozent der Absolventen fänden nach wie vor im Bereich Arbeitsschutz und Brandschutz Arbeit, sagt Professor Stienen, „Doch der Bereich Security wächst – auch wenn es da weniger gesetzliche Anforderungen gibt.“ Auch Betreiber von sogenannten kritischen Infrastrukturen – Beispiel Flughäfen oder Atomkraftwerke – müssen sich gegen potenzielle Gefahren von außen absichern.
Vom Wachstum dieses Marktes profitieren zudem Betriebe, die Sicherheitstechnik herstellen. „Das Sicherheitsbedürfnis steigt und damit die Nachfrage an Überwachungs- und Sicherheitstechnik“, sagt Alexander Bradfisch von der Bosch Sicherheitssysteme GmbH, „allein in Baden-Württemberg ist unser Umsatzvolumen innerhalb der letzten drei Jahre um 30 Prozent gewachsen.“ Security & Safety-Ingenieur Raphael Mayer, der am Standort Radolfzell als Vertriebsplaner bei Bosch tätig ist, beschreibt das so: „Die Kunden wollen maßgeschneiderte, individuelle Lösungen. Wir beraten sie dann entsprechend.“ Wenn sich zum Beispiel ein Tankstellenbetreiber dagegen absichern will, dass ihm die Kunden seiner Waschstraße ungerechtfertigt Lackschäden anlasten wollen, installiert er eine Überwachungskamera, die hochauflösende Bilder vom Wagen vor dem Waschen aufnimmt. Die Überwachungskamera, die die Autos an der Zapfsäule erfasst, muss nicht ganz so scharfe Bilder liefern, Hauptsache, man kann das Nummernschild lesen.
Auch auf Straßen und öffentlichen Plätzen wird die Nachfrage vor allem nach Video-Überwaschung steigen, meint Alexander Bradfisch. Ludger Stienen, der vor seiner Lehrtätigkeit an der Hochschule Furtwangen erst 13 Jahre Polizist und später Sicherheitsbeauftragter einer kerntechnischen Anlage war, sieht die Kompetenz der Sicherheitsingenieure allerdings eher im privaten Bereich: „ Wir können Gebäude und kritische Infrastrukturen überwachen und durch sprengstoffhemmende Bauteile oder entsprechende Zäune, Poller und Barrieren vor Terrorangriffen schützen. Doch für den öffentlichen Raum ist die Polizei zuständig.“
Erschienen in der Süddeutschen Zeitung am 20. Februar 2016
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