Technik trifft Nachhaltigkeit

Foto:©photocase.com/marie.maerz

Foto:©photocase.com/marie.maerz

Bilder von Meerestieren, die sich in Plastikabfall verheddern und elend zugrunde gehen, oder von zugemüllten Stränden lassen kaum jemanden kalt. Nach Berechnung einer Studie der Ellen MacArthur Foundation verschmutzen etwa 150 Millionen Tonnen Plastik die Weltmeere. Und es wird noch schlimmer: Landen aktuell pro Jahr ungefähr acht Millionen Tonnen Plastik in den Meeren, könnten es bis 2030 doppelt so viel sein, prognostizieren Forscher. Der junge Niederländer Boyan Slat und sein Team gehören zu den Menschen, die etwas dagegen tun wollen. Mit seinem Unternehmen Ocean Cleanup mit Sitz im niederländischen Rotterdam will der 24 Jahre alte Slat die Weltmeere aufräumen. Seit September fischt einer seiner riesigen Müllfänger im Nordpazifik Müll aus dem laut Scientific Report etwa 1,6 Millionen Quadratkilometer großen Müllstrudel, dem so genannten Great Pacific Garbage Patch (Siehe SZ 7. 9. 2018 „Großreinemache im Pazifik startet“). Sein Plan ist, dass der eingesammelte Plastikmüll an Land recycelt und gewinnbringend verkauft werden soll. Für das Recycling werden dann Ingenieure wie Leanne Brits zuständig sein. Die Südafrikanerin hat in Stellenbosch ihren Master in Chemical Engineering abgeschlossen und bis Anfang dieses Jahres als Recycling Ingenieurin im Team von Ocean Cleanup gearbeitet. Inzwischen ist sie wieder nach Südafrika zurückgekehrt und promoviert an der Uni Stellenbosch. Für Ocean Cleanup hat sie unterschiedliche Recycling-Verfahren für den aus dem Meer gezogenen Plastikmüll getestet. Boyan Slats Idee ist umstritten, seine Machbarkeitsstudie wurde in mehreren Punkten angezweifelt. Dennoch: Wie man der Müllmassen Herr wird – egal ob an Land oder im Wasser – ist und bleibt ein Riesenthema. „Die Karrierechancen sind groß, gerade für Ingenieure“, sagt Bernhard Schodrowski, Sprecher des Bundesverband der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Rohstoffwirtschaft e. V.(BDE), „Das schließt Recycling mit ein, umfasst aber deutlich mehr.“ Ingenieure würden bei Anlagen- und Maschinenbaufirmen, die Recyclingtechnik herstellen und entwickeln, gebraucht oder direkt als Fachleute in den Recycling- und Entsorgungsanlagen. „Die Anlagen müssen ja betrieben, weiterentwickelt und gewartet werden müssen – das sind rund 15 000 in Deutschland“, sagt Schodrowski. Jose Forero ist Maschinenbauingenieur und bewertet für das privatwirtschaftliche Entsorgungsunternehmen Suez mehrere Verwertungsanlagen, etwa eine Anlage für Ersatzbrennstoffaufbereitung im badischen Bruchsal. Er analysiert die Wirtschaftlichkeit der Anlage, überwacht die Betriebsausgaben und legt diese Daten dann dem Vorstand vor. „Da wir unsere Anlagen immer auf dem neusten Stand halten und – wenn möglich – optimieren wollen, bin ich vor Ort und bespreche Details mit den Anlagenleitern. Das geht nur, weil ich als Ingenieur Kenntnisse in der Verfahrenstechnik habe. Ich verstehe die Prozesse und kann die richtigen Fragen stellen“, sagt er. Christina Schulz hat sich ebenfalls für eine Karriere im Umweltbereich entschieden. Nach einem Bauingenieursstudium spezialisierte sie sich mit der Vertiefungsrichtung Wasser -und Abfallwirtschaft an der FH Aachen. „Ich bin in den 80erJahren aufgewachsen. Saurer Regen, Mülltrennung, die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl – diese Themen haben mein Umweltbewusstsein geweckt“, beschreibt sie ihre Motivation. Heute ist die 47-Jährige beim Recycling- und Rücknahmespezialisten Grüner Punkt im Bereich Business Development und Managementsysteme tätig. „Mein Arbeitsalltag ist sehr abwechslungsreich“, sagt sie. Vergangenes Jahr hat sie einen Nachhaltigkeitsbericht mit betreut und die Prüfung nach internationalen Standards begleitet. Außerdem berät sie Kunden, etwa Hersteller von Verpackungen, wie sie ihre Produkte so gestalten können, dass sie sich besser recyceln lassen und prüft neue Methoden, nach denen Sortier- und Verwertungsanlagen effizienter arbeiten können. Dass sie eine Zeit lang bei ihrem Arbeitgeber Sortieranlagen betreut hat, hilft ihr ebenso weiter wie ihre Kenntnisse als Ingenieurin. „Ich kann erklären, was mit den Flakes, also den zerschredderten Plastikteilen, im Extruder passiert und wie Kunststoff beschaffen sein muss, damit er gut recycelt werden kann“, sagt sie. Recycling sei und bliebe ein Riesenthema: „Die Arbeit geht nicht aus, das Verpackungsmaterial wird nicht weniger, nicht zuletzt durch den Zuwachs an Singlehaushalten und den Internethandel.“ Ein Studienfach Recycling Engineering hält in Deutschland übrigens nur die Hochschule Nordhausen vor. Dort ist Uta Breuer Studiendekanin. Die Biotechnikerin schwärmt von den – wie sie sagt „wunderbaren Berufsaussichten“ für ihre Studierenden: Ihre Studenten arbeiten nach dem Studium im öffentlichen Dienst, bei kleinen Firmen, als Sachverständige, bei den klassischen Recyclern oder leiten Biogasanlagen – „Das volle Programm“, sagt Breuer. Und für wen eignet sich das Studium und der Beruf später? „Mitbringen sollte man naturwissenschaftliche Grundlagen in Mathe, Physik und Chemie, ein Grundverständnis für technische Abläufe und die Lust, etwas für die Natur zu tun“, meint die Professorin. Und klar, man sollte sich auch darauf einstellen, dass man direkt auf der Deponie zu tun hat und auch mal den Inhalt Gelber Säcke auseinander nehmen muss. „Aber ab dem Rechenhaus in der Kläranlage riecht es anders“, tröstet Uta Breuer. Das Wort Abfall hört Professor Breuer nicht so gerne. „Ein schlimmer Begriff“, sagt sie, „Abfall gibt es eigentlich nicht. Das könnte man alles weiterverwerten.“ Erich Groever hat schon sein ganzes Berufsleben über mit Abfällen und dem Sammeln und Recyceln davon zu tun: der 63-Jährige Verfahrenstechniker hat sich mit seinem Ingenieurbüro auf Umweltthemen spezialisiert. Zunächst, in den 90er Jahren, mit dem Bau von Anlagen, dann, als der Markt in Deutschland gesättigt war, mit Beratung, Umbau, Ausbau bereits bestehender Anlagen. Heute engagiert er sich für Verein „One Earth – One Ocean“, ein Projekt, das etwas ganz ähnliches möchte wie der junge Niederländer mit Ocean Cleanup: Gewässer von Plastik befreien. Die Idee: Schiffe unterschiedlicher Größe sammeln Müll auf Gewässern ein. Das größte, der „Seeelefant“ soll nicht nur Müll aus dem Wasser fischen können, sondern ihn mit einer Verölungsanlage an Bord auch sofort verwerten. „Quasi eine schwimmende Tankstelle“, sagt Groever, der Vereinsgründer Günther Bonin dazu berät. Der „Seehamster“, ein Katamaran, fischt seit einigen Jahren schon regelmäßig Algendreck aus dem Germeringer und Olchinger See bei München. Bis Ende August war der Seehamster zu Demonstrationszwecken auf dem Mekong in Kambodscha unterwegs. Und noch ein Produkt aus dem Hause Groever machte in Asien die Gewässer sauberer – die etwas größere „Seekuh“ spielte den Sommer über im Hafen von Hongkong Müllabfuhr. Momentan weilt der Hamster übrigens in Deutschland: in Kiel testen Ingenieure ein neues Netz und Fangsystem.

erschienen in: SÜDDEUTSCHE ZEITUNG, 7. Dezember 2018