Berlin, ein Samstag Vormittag, kurz nach 10. Kalt fegt der Wind über den Vorplatz des Hotels Moa in Berlin Moabit. Nicht unbedingt die Zeit, in der Jugendliche gerne Ausflüge machen – zumal in Begleitung ihrer Eltern. Und doch strömen eine ganze Menge Familien in den Kongressbereich des Hotels, zur Studien- und Ausbildungsmesse Stuzubi. Jungs und Mädchen, viele eingerahmt von Mutter und Vater, fast alle mit einem Elternteil an der Seite. Dabei richtet sich die Messe eigentlich an Schüler, die kurz vorm Abi stehen oder danach eine Orientierungshilfe brauchen.
„Jeder zweite unserer Besucher kommt mit Vater oder Mutter oder beiden“, sagt Stuzubi-Sprecherin Andrea Hoffmann-Topp, „Eltern sind für uns unverzichtbar. Die Jugendlichen fühlen sich angesichts der Fülle an Angeboten überfordert.“ Brückenbauer seien die Eltern, sie würden die Persönlichkeit ihrer Kinder kennen und seien diejenigen, die ihre Söhne und Töchter am Besten motivieren könnten.
„Das war Mamas Idee“, sagt Marten, 16 Jahre alt. Er geht erst in die zehnte Klasse eines Berliner Gymnasiums und möchte sich jetzt schon mal informieren – ob er überhaupt Abi machen möchte, und wie es danach weiter gehen soll. Dass ihn sein Vater begleitet, findet er gut. „Ich bin hier auf viele neue Ideen gekommen“, sagt Marten, der vorher unbedingt im Bereich der Systemgastronomie arbeiten wollte. Jetzt kann er sich doch noch vorstellen, zwei Jahre Schule draufzusetzen und nach dem Abi vielleicht Elektrotechnik oder Mechatronik zu studieren.
Auch Sophia Papalamprou, die schon 18 ist und kurz vorm Fachabi steht, ist mit Mutter und Vater da. „Das gibt mir viel Sicherheit“, meint sie. „Wir orientieren uns gemeinsam mit unserer Tochter, in welchen Bereich es gehen könnte“, sagt Vater Konstantin Papalamprou. Journalismus? Oder vielleicht doch Hotelmanagement? Sophia ist noch unschlüssig. Die Eltern wollen ihre Tochter zu nichts drängen. Bei den Gesprächen an den Ständen halten sie sich diskret im Hintergrund und lassen Sophia reden. Aber: „Indem wir mitkommen, zeigen wir, dass wir hinter ihrer Entscheidung stehen“, sagt Christina Papalamprou.
„Was die Studien- und Berufswahl angeht, sind die Ideen der Jugendlichen nicht statisch, sondern eher prozessorientiert. Das ist nicht immer ganz einfach“, sagt Stephan Schneider. Er arbeitet als Studien- und Berufsberater bei der Jugendberufsagentur Berlin Mitte. „Eltern sind die wichtigsten Partner bei der Studienwahl ihrer Kinder“, ist seine Erfahrung, „Sie kennen ihre Söhne und Töchter am Besten und können einschätzen, ob ihre Studien- oder Berufswahl sinnvoll und förderlich ist.“ Allein sich im Dickicht der 10.650 Bachelor-Studiengänge zurechtzufinden, sei alles andere als einfach. Auch in seinen Beratungsstunden sitzen häufig Väter und noch öfters Mütter dabei, insbesondere bei jungen Abiturienten, deren Zahl seit der Einführung von G8 angestiegen ist. „Es dauert manchmal etwas, bis sich die Kinder warm gelaufen haben. Deshalb übernehmen die Eltern oft den Gesprächseinstieg“, sagt Schneider. Schwierig werde es nur, wenn die Erwartungshaltung der Eltern höher sei als der Entwicklungsstand ihrer Kinder. Dann versuche er als Berater, über die im Haus tätigen Psychologen einen Fähigkeitentest anzubieten. Der hilft neben der qualifizierten Studienberatung den Jugendlichen dabei, ihr Können realistisch einzuschätzen.
Auch viele Universitäten sehen die Eltern ihrer Studierenden inzwischen als wichtige Partner. Die Studienberatung der Universität Hamburg etwa bietet seit 2013 Informationsabende für Eltern von Studierenden an. „Wir haben eine Veränderung beobachtet. Eltern werden als Partner bei der Studienwahl immer zentraler. Sie fungieren als sicherer Heimathafen, von dem aus man sich orientieren kann“, sagt Ronald Hoffmann, Leiter der zentrale Studienberatung der Universität Hamburg. Er verweist auf die Shell Jugendstudie 2015, in der mehr als 90 Prozent der Jugendlichen angeben, ein gutes Verhältnis zu ihren eigenen Eltern zu pflegen. Die Konsequenz für die Studienberater:„Wenn Eltern solch eine wichtige Rolle spielen, sich aber gleichzeitig durch den Bologna-Prozess an den Hochschulen so viel verändert hat, brauchen Väter und Mütter eine fundierte Basis, um mit Kindern über den Studienwunsch sprechen zu können.“
Drei bis vier Eltern-Veranstaltungen pro Jahr bietet die Universität Hamburg an. Im Gespräch mit den Eltern merkt der Berater, dass Werte wie Selbstständigkeit und Eigenverantwortlichkeit in der Erziehung inzwischen eine große Rolle spielen. „Helikopter-Eltern, die ihre Kinder nicht loslassen können und alles überwachen wollen, sind eher Ausreißer“, sagt Hoffmann. Sein Berliner Kollege Baris Ünal, Leiter der Studienberatung der Technischen Universität Berlin, beobachtet Ähnliches: „Wenn früher Eltern in die Sprechstunde mitgekommen sind – was selten vorkam – haben sie ihren Kindern oft reingequatscht.“ Das sei inzwischen anders geworden. Die Rolle der Eltern hat sich geändert, sie treten eher als Berater auf. „Man trifft die Entscheidung als Familie“, sagt Ünal.
Dazu passt, dass auf der Stuzubi, der Studien- und Berufsinfomesse, inzwischen immer häufiger auch Großeltern anzutreffen sind, die Infomaterial für ihre Enkel besorgen oder sogar mit ihnen auf die Messe gehen. Auf den Elternabenden der TU informiert Baris Ünal die Eltern vor allem über Studienbasics. Welche Studiengänge gibt es? Wie war das nochmal mit Bachelor und Master? Und, für viele Eltern eine der wichtigsten Fragen: Welches Studium führt zu einem sicheren Arbeitsplatz? Kann man mit dem Geld, das man später verdient, den Standard zumindest halten? Um die 20 Eltern zählt Ünal bei den Infoabenden. Was alle eint: Der Wunsch, mehr über das System zu wissen. Und dieses Wissen dann an ihre Söhne und Töchter weitergeben zu können.
Die Aussteller auf der Stuzubi sind jedenfalls nicht unglücklich, wenn Schüler von ihren Eltern auf die Infomesse begleitet werden. „Das sind gute Multiplikatoren“, sagt Tom Franke, der am Stand der Polizei Brandenburg von der Polizei berät, „Und wenn die Eltern das Gespräch zu sehr an sich reißen, bekommt man das gut in den Griff, indem man die Schüler direkt anspricht.“ Meistens nehmen sich die Väter oder Mütter dann schnell zurück, hat auch Stuzubi-Sprecherin Hoffmann-Topp im Gespräch mit Ausstellern beobachtet. Das Loslassen scheinen die Eltern doch ganz gut hinzukriegen. Auf der Messe für Studenten und Young Professionals, die für März in München geplant ist, findet sich nach ihrer Erfahrung kein einziger Vater oder Mutter – nur junge Studenten oder Berufsanfänger. Und die besuchen die Messe natürlich alleine.
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 16. März 2017
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