Die Studienidee kam beim Skifahren. Irgendwann auf der Skipiste in den Schweizer Bergen fiel Katharina Ellmers Blick auf die Handschuhe, die sie immer so zuverlässig vor der Kälte schützten. „Warum wärmen die mich eigentlich?“, fragte sie sich. Eine Antwort in Richtung „Die sind aus einem wasserabweisenden, winddichten Spezialmaterial und innen mit kuschligem Fleece gefüttert“ war Katharina Ellmer zu wenig. Die Südbadenerin hatte als Leistungskurse Physik und Kunst gewählt und überlegte, ob sie nach dem Abi Maschinen- bau oder doch lieber Modedesign studieren solle. Als sie dann herausfand, dass es einen Studiengang gab, in dem man nicht nur Antworten auf Fragen nach der Beschaffenheit von Skihandschuhen bekommt, sondern der sich auch mit technischer Produktentwicklung beschäftigt, zog sie nach Berlin, um an der Hochschule für Technik und Wirtschaft (HTW) Bekleidungstechnik/Konfektion zu studieren.

Um Stoffe und ihre Beschaffenheit geht es in diesem Studiengang an der HTW Berlin. Foto: ©eyelab/photocase.com
Den Bachelor- und Masterstudiengang Bekleidungstechnik/Konfektion gibt es in dieser Form nur an der HTW Berlin. Zugangsvoraussetzung ist, dass man in einem vergleichbaren Studiengang, also etwa im Bereich Bekleidungstechnik, Textiltechnik oder Modedesign 210 Leistungspunkte gesammelt haben muss. Hatte das Erststudium nur 180 Leistungspunkte, können die Studierenden die fehlenden Module nachholen. Über die Zulassung entscheidet eine Auswahlkommission.
All dies hat Katharina Ellmer längst hinter sich – seit Abschluss ihrer Masterarbeit ist sie wissenschaftliche Mitarbeiterin und promoviert – nein, nicht über die Wärmeleistung von Funktionsbekleidung, sondern zur Wäschepflege. In Zusammenarbeit mit zwei weiteren Berliner Hochschulen und einem Haushaltsgerätehersteller will Ellmers Forschungsgruppe herausfinden, wie man mit weniger Wasser-, Energie- und Reinigungsmittelverbrauch dennoch saubere Wäsche bekommt. Zu Forschungszwecken hat sie mehr als 1000 Waschmaschinennutzer zu ihrem Waschverhalten befragt. „Mir gefällt es, dass wir so praxisbezogen und interdisziplinär arbeiten“, sagt sie. „Bei unserem Projekt machen nicht nur Leute aus dem Bereich Bekleidungstechnik/Konfektion mit, sondern auch Maschinenbauer und Verfahrenstechniker.“
Vier Versuchs-Waschmaschinen rumpeln im Dienst der Wissenschaft im Wasch- labor der Hochschule – nicht immer nur gefüllt mit simpler Baumwollwäsche, sondern auch mit sensiblen Stöffchen, Kleidern aus Chemiefasern etwa. „Immer mehr Kleidung besteht aus innovativen Fasern oder wurde veredelt. Die hat natürlich ein ganz anderes Waschverhalten als ein einfaches Baumwollshirt“, sagt Katharina Ellmer. In einem Jahr will sie mit ihrer Promotion fertig sein – sie ist die erste Doktorandin im Studienfach Bekleidungstechnik/Konfektion.
Ein paar Türen weiter, im großen Seminarraum der HTW, informieren sich Master-Studentinnen gerade bei Professorin Monika Fuchs über Marktmechanismen. Reine Wirtschaftswissenschaft, das gehört dazu. Wie gut steht die deutsche Textilbranche im internationalen Vergleich da? Immer besser, kurz gesagt. Wohin exportiert Deutschland? Hauptsächlich in die Nachbarländer Österreich, Frankreich, in die Niederlande, zunehmend nach Polen. Wachstumsmärkte? Arbeits- und Berufsbekleidung.
Professorin Fuchs vermittelt ihr Gebiet sehr praxisnah. Genau das schätzen die Studentinnen – übrigens tatsächlich fast nur Frauen. Der Studiengang Bekleidungstechnik/Konfektion nimmt in jedem Jahr 20 Studierende auf, der Studiengang Modedesign mit dem Abschluss Master of Arts nimmt weitere 20 Studierende auf. Beide Studiengänge arbeiten zusammen und haben gemeinsame Module.
„Unsere Master-Studierenden haben häufig schon einen Bachelor in Bekleidungstechnik gemacht, die meisten bei uns an der HTW“, berichtet Monika Fuchs. „Beim Unterricht ist es manchmal nicht ganz einfach, beide Gruppen zusammenzubekommen. Techniker und Designer haben sehr unterschiedliche Denkansätze und natürlich verschiedene Wissens-Hintergründe“, führt die Professorin aus.
Doch genau das kann für beide Seiten sehr bereichernd sein – der künstlerische Aspekt der Modedesignerinnen, die technikorientierte Sichtweise und natürlich der betriebswirtschaftliche Aspekt. Die Studentinnen lernen außerdem, ganz praktisch, wie man einen CAD-Schnitt macht oder technische Textilien fertigt und verarbeitet. Wie Trends entstehen. Wie Wirtschaft funktioniert. „Was ich hier lerne, brauche ich später auch für mein Unternehmen“, sagt Master-Studentin Hannah Schorch. Sie ist 24, hat einen Bachelor in Modedesign und ist jetzt schon dabei, zusammen mit einer in Israel ansässigen Partnerin ihr eigenes Modelabel zu gründen: Bezahlbare und dennoch exklusive Unterwäsche aus ökologisch korrekten Materialien wollen die beiden herstellen und vertreiben. Oder ihre Mitstudentin Sema Gedik, ebenfalls Modedesignerin. Die 25-Jährige will in ihrer Master-Abschlussarbeit eine internationale Konfektionstabelle für kleinwüchsige Menschen präsentieren. „Gut sitzende modische Kleidung für Menschen, die nicht der Normgröße entsprechen, gibt es nicht“, hat sie herausgefunden. Für ihren Bachelor-Abschluss hat sie eine Modekollektion für Kleinwüchsige mit dem Namen „Auf Augenhöhe“ hergestellt und damit einen Preis gewonnen.
Doch auch, wer nicht in die künstlerische Richtung gehen will, wird höchstwahrscheinlich Arbeit finden. Monika Fuchs: „Unternehmen beschäftigen sich immer intensiver mit Nachhaltigkeit und suchen für diese Bereiche Mitarbeiter.“ Außerdem sei die Textil- und Bekleidungsindustrie „mit knapp 120 000 Mitarbeitern in Deutschland die zweitgrößte Konsumgüterbranche Deutschlands“.
erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 18. Mai 2015