
Kopflos verhandeln kann nicht gut gehen. Gute Vorbereitung ist alles. Foto: ©elke/photocase.com
Keine angenehme Vorstellung: Als Berufsanfänger, gerade frisch fertig studiert, mit gestandenen Investmentbankern in einer Verhandlung zu sitzen, bei der es um Investitionen in zweistelliger Millionenhöhe geht. Und das mit der Maßgabe, sich an der Verhandlung aktiv zu beteiligen. „Das war ein kleiner Schock, ich hatte damals keine Ahnung von den Mechanismen, die da ablaufen“, sagt Remigiusz Smolinski, der diese Situation vor mehr als 15 Jahre genau so erlebt hat. Für den aus Polen stammenden Wirtschaftswissenschaftler war sie der Anstoß dazu, das Thema Verhandlungsmanagement zu seinem beruflichen Schwerpunkt zu machen: seitdem forscht er zu Verhandlungstechniken und lehrt an der HHL Leipzig Graduate School of Management und der Aarhus University’s School of Business and Social Sciences in Dänemark Negotiation – so das englische Wort für Verhandlung.
„Als ich anfing, mich mit Verhandlungstechniken zu beschäftigen, gab es noch nicht so viel Literatur dazu wie heute“, sagt Smolinski. Standardwerk war seit den 80er Jahren das so genannte Harvard-Konzept, basierend auf dem Buch „Getting to yes“ des US-Rechtswissenschaftlers Roger Fisher und des Anthropologen William L. Ury. „Eine gute Basis, aber man darf nicht da stehen bleiben“, sagt Smolinski, der sich nach intensiven Studien in Harvard und China und für seine Lehrveranstaltungen sein eigenes Curriculum zusammengestellt hat.
In den Programmen, die er den Leipziger MBA-Studierenden nahe bringt, überwiegt der praktische Aspekt: Die MBA-Studierenden lernen in dem dreitägigen Kurs in einem Mix aus Theorie und praktische Übungen, wie man geschickt verhandelt. Dabei simulieren sie gemeinsam mit ihren Kommilitonen eine Verhandlungssituation. Im Anschluss wird die analysiert und von Smolinski mit dem entsprechenden theoretischen Wissen unterfüttert.
Gerrit Doyé, 28 Jahre alt und neben seinem Beruf als Personalentwickler bei einem großen Automobil-Zulieferer berufsbegleitend MBA-Student an der HHL, hat im Rahmen seines Studiums im August 2015 das Modul Verhandlungstechnik bei Smolinski absolviert. „Sich gut auf eine Verhandlung vorzubereiten, ist das allerwichtigste“, hat Doyé aus dem Seminar mitgenommen. Dabei geht es zum einen darum, möglichst viel Faktenwissen über den Verhandlungspartner zu sammeln, etwa: ist das Unternehmen börsennotiert, welche andere Kooperationspartner hat es. Zum anderen sei es unverzichtbar, sich in die Lage des Verhandlungspartners hineinzuversetzen, um ihn verstehen zu können. Doyé: „Nur so kann man einschätzen, welches Verhandlungsziel überhaupt realistisch möglich wäre.“
Was er noch gelernt hat: Immer die BATNAS im Hinterkopf behalten. BATNAS?
Das Akronym steht für englisch Best Alternative To a Negotiated Agreement und meint auf deutsch eine gute, idealerweise die beste Option, die man parat haben sollte, falls es bei einer Verhandlung nicht zu einer Einigung kommen sollte
Auch Lutz Kaufmann, Professor an der WHU – Otto Beisheim School of Management, bringt seinen MBA-Studierenden in Verhandlungsmanagement-Seminaren nahe, dass akribische Vorbereitung das A und O einer erfolgversprechenden Verhandlung ist. „Stakeholder-Mapping etwa – wer ist für, wer ist gegen mich?“, zählt Kaufmann auf. Außerdem müsse man sich klar machen, dass Verhandlungen dynamische Prozesse seien, auf die man flexibel reagieren muss: „Wir schauen hier keine ausgestopfen Vögel an, die fliegen weg.“ Emotionen sollte man nicht wegdrücken. Kaufmann: „Auch beim Verhandeln bleiben wir Menschen, die Gefühle haben dürfen. Wichtig ist nur, dass die Emotionen nicht uns im Griff haben, sondern umgekehrt“.
Ein Persönlichkeitstest gehört bei Verhandlungs-Trainings an der WHU mit dazu. René Kusch, Psychologe und Managementberater, gibt die Seminare gemeinsam mit Kaufmann. „Persönlichkeitsmerkmale beeinflussen Verhandlungen maßgeblich“, sagt Kusch, „Was fällt mir leicht, wofür muss ich mich selbst sensibilisieren. Wenn ich das rausgefunden habe, erhöht das meine strategische Selbsterkenntnis.“ Die Seminar-Teilnehmer gehen nie aus den Kursen, ohne zu wissen ob sie zum Beispiel ein extrovertierter ENFJ-Typ (die Abkürzung steht für extraversion, intuitiv, feeling, judgment) oder der eher nach innen wirkende INTJ-Typ (introversion, intuition, thinking, judgment ) sind.
„Verhandlung ist allgegenwärtig“, sagt Johannes Habel, Programm-Direktor an der ESMT European School of Management and Technology in Berlin, „Wir verhandeln eigentlich ständig: privat, zum Beispiel mit den Kindern, im Beruf, etwa ums Gehalt oder ganz klassisch als Einkäufer oder Verkäufer.“ Er will den MBA-Studierenden Grundbausteine der Verhandlungstechnik nahe bringen. Zum Beispiel den Unterschied zwischen distributiver und integrativer Verhandlung. „Bei der distributiven Verhandlung geht es darum: wer kriegt das größte Stück vom Kuchen, bei der integrativen ist das Ziel eine Win-Win-Situation, von der beide profitieren“, erklärt Habel, „Distributive Verhandlungen haben wir zum Beispiel, wenn jemand sein Auto verkaufe möchte. Integrativen Verhandlungen sind wesentlich komplexer, da muss man sich über mehrere Punkte einige werden.“ Beispiel Gehaltsverhandlung: Verhandelt wird hier nicht nur um die Höhe des Gehaltes, sondern etwa auch um Boni, um Urlaubsansprüche, Firmenwagen und so weiter.
Weil Verhandlungen aber auch Spaß machen können, hat Verhandlungsspezialist Smolinski vor neun Jahren die Negotiation Challenge initiiert. Die findet jedes Jahr statt, die letzte hat er gemeinsam mit der Münchner TUM School of Management organisiert. Studenten-Teams aus Business-Schulen aus der ganzen Welt treten gegeneinander an und wetteifern darum, wer am besten verhandeln kann. Dieses Jahr hat ein Dreier-Studierenden-Team der HHL gewonnen. Besonders kniffelig fanden alle drei, per Mail zu verhandeln. „Eine Beziehung zu jemanden aufzubauen, den man weder sehen noch hören kann, ist echt schwierig“, sagt Alexa Drasites, MBA-Studentin aus Florida und eine der Challenge-Gewinnerinnen. Vielleicht wäre das für die Zukunft ja noch ein Extra-Programm wert – Verhandlungen per E-Mail.
erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 16. September 2015