Mediziner als Manager

Unter seinen Arzt-Kollegen ist Christoph Tennie fast schon ein Exot. Denn der Mediziner interessiert sich für Arbeitsbereiche, bei denen viele seiner Kollegen fremdeln: Für Betriebswirtschaft, für komplexe Organisationsstrukturen, für Personalmanagement. „Die Ökonomisierung der Kliniken ist eben nicht aufzuhalten“, sagt Tennie. Aus diesem Wissen heraus hat er sich vor zwei Jahren dafür entschieden, neben seiner Tätigkeit als Assistenzarzt an der Uniklinik Marburg an der Hochschule für Wirtschaft und Recht in Berlin Health Care Management zu studieren. Jetzt hat er seinen MBA in der Tasche. „Das Studium war in jeder Hinsicht ein großes Investment, aber für mich hat es sich gelohnt“, meint Tennie. Auf längere Sicht kann er sich gut vorstellen, im Krankenhaus-Management zu arbeiten. Doch zunächst will der Mediziner seinen Facharzt abschließen.

Wer ARzt und Manager in einer Person sein möchte, braucht eine Zusatzausbildung. Foto: fmatte/photocase.com

Wer ARzt und Manager in einer Person sein möchte, braucht eine Zusatzausbildung. Foto: fmatte/photocase.com

„Wir wollen mit dem Klischee aufräumen, dass der Gesundheitssektor ein ökonomiefreier Raum ist“, sagt Rainer Sibbel, Professor an der Frankfurt School of Finance and Management, „Wirtschaftlichkeit ist im Gesundheitswesen nötig und möglich.“ An der HHL Leipzig Graduate School of Management läuft in diesem Wintersemester der neue Studiengang Health Care Management an. „Wir haben das Phänomen einer alternden Gesellschaft mit multimorbiden Patienten, die drei bis fünf Krankheitsbilder aufweisen und entsprechend viele Ärzte und Kliniken aufsuchen müssen“, sagt Winfried von Eiff, der als Professor den neuen Studiengang leitet und aufgebaut hat, „damit ist die Gesundheitsbranche volkswirtschaftlich gesehen ein wachsender Markt.“ Ein Mediziner müsse das System verstehen, für das er arbeite, erklärt er. Und nicht nur das System in Deutschland, auch anderswo in der Welt. Viele Hochschulen bieten deshalb einzelnen Module im Ausland an. An der Frankfurt School of Finance and Management beispielsweise gehören einwöchige Aufenthalte mit Besuchen in Kliniken und Praxisvorträgen in Kanada, England, den USA, in Singapur und Indien zu den Pflichtmodulen. Das zieht natürlich ein besonderes Studierenden-Klientel an: „Unsere Teilnehmer sind hochgradig international“, erklärt Professor Sibbel, „Wir haben hier die Welt versammelt.“
Egal, wie international die Studierendenschaft ist – was auf die Studierenden so gut wie überall zutrifft: Der Großteil – etwa zwei Drittel bis drei Viertel – sind Ärzte. Häufig Ober- oder Chefärzte, für die als nächster Karriereschritt eine Klinikleitung ansteht oder die in ihrem Bereich auch in Sachen Betriebswirtschaft Bescheid wissen wollen. Menschen, mit jahre- wenn nicht jahrzehntelanger Berufserfahrung. Da kann es passieren, dass der Altersdurchschnitt der Studierenden bei Mitte bis Ende 40 liegt. „Das sind gestandene Persönlichkeiten, die genau wissen, worauf sie sich einlassen“, sagt Ralph Tunder , Akademischer Direktor des Health Care Management Institute an der EBS Business School.
Eine gewisses Pensum an Belastbarkeit bringen Ärzte sowieso mit – und das brauchen sie auch für so ein Studium: Zwei Jahre so gut wie keine Freizeit, dazu die finanzielle Mehrbelastung – „Für das, was mein Studium gekostet hat, hätte ich mir auch einen Kleinwagen kaufen können“, zieht Assistenzarzt Christoph Tennie Billanz. „Das Studium war in jeder Hinsicht eine Belastung – auch im privaten Bereich.“ Verpasste Geburtstags- und Hochzeitsfeiern, lernen an Wochenenden, in den Ferien – wenn die nicht den Seminaren geopfert werden müssen. „Zum Glück hat meine Verlobte das tapfer mitgetragen“, sagt Tennie. „Meine Familie ist an die Grenzen gegangen, aber sie wusste schon vorher, auf was wir uns einlassen würden“, sagt auch Gerd Albuszies, Chefarzt im GPR Klinikum Rüsselsheim und schon seit 2012 MBA Health Care. 80 Präsenztage waren bei seinem Studium an den EBS Business School in Wiesbaden vorgesehen. Albuszies hat es ausgerechnet und kam auf insgesamt 2000 Stunden, die er für das Studium aufgewendet hat – Präsenztage, Vor- und Nachbereitung und Schreiben der Master-Thesis inklusive. „Man braucht Ehrgeiz, um das durchzuziehen“, sagt auch Beatrice Georgii, Assistenzärztin in München. Sie hat ihren MBA Health Care ebenfalls neben ihrem Vollzeit-Beruf in der Kinder- und Jugendpsychiatrie der Uni München durchgezogen. Auf die Frage, wie sie das geschafft hat – voller Job plus Studium – sagt sie knapp: „Reines Selbstmanagement.“
Wer MBA im Gesundheitswesen studiert, muss aber nicht zwangsläufig Arzt sein. Auch Pharmazeuten, Juristen, Diplom-Kaufleute, sogar Ingenieure und Architekten gehören zu den Studierenden. „Wir hatten auch einmal eine Pressesprecherin einer großen Krankenkasse dabei, die hatte zuvor Journalistik studiert“, sagt Jörg Schlüchtermann, Professor für Gesundheitsökonomie an der Universität Bayreuth. Voraussetzung ist allerdings ein erster akademischer Abschluss, also ein Bachelor oder ein vergleichbarer Abschluss.
Und was hat der Patient von Menschen, die eine MBA Health Care haben? Wird da nicht noch mehr gekürzt, noch mehr Zeit beim Patienten abgeknapst, noch mehr gespart – zu Lasten der Patienten? „Klar, wir haben auch manchmal Diskussionen in die Richtung: Ethik versus Monetik oder: ist das alles böse, was wir hier machen?“ sagt Professor Schlüchtermann von der Uni Bayreuth. Der Ansatz seines Frankfurter Kollegen Professor Sibbel im Studiengang Health Care Management ist, ein Krankenhaus wie eine Non-Profit-Organisation zu begreifen. Sibbel: „Auch Kliniken müssen profitabel arbeiten – die Frage ist nur: Was geschieht mit dem Profit?“ Der fließe – so Sibbel – im besten Fall in die Klinik zurück und kommt damit wieder dem Patienten zu Gute.
Nicht Diskussionen zur Auswirkung ökonomischer Entscheidungen auf die Patienten, auch Fragen zur Personalführung – die nicht unerheblich zum Klima in einer Klink beitragen – gehört zu den Lehrinhalten des Studiums. Die EBS Business School bietet sogar ein Extra-Modul Empathisches Führen. „In unserer Kliniklandschaft ist das ein großes Manko: Die ist geprägt durch ein hierarchisches, sehr männliches Führungsverhalten. Das ist nicht mehr zeitgemäß“, sagt Direktor Ralph Tunder.
Christoph Tennie, der Marburger Assistenzarzt, sieht sich nach seinem MBA als Bindeglied zwischen Verwaltung und seinen Arztkollegen. „Ich kann der Fürsprecher sein und dafür sorgen, dass ökonomisch begründete Veränderungen nicht mehr über die Köpfe der Ärzte hinweg passieren“, sagt er, „Und am Ende tut man auch das für die Patienten und ihre Wohl.“

erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 22. November 2014

Foto:©fmatte/photocase.com