Jeder kennt sie: Meist stehen sie mit ihren signalfarbenen Schutzwesten am Straßenrand, neben sich ein Gerät, das für oberflächliche Betrachter auch so etwas wie eine Radarfalle sein könnte. Doch was auf den ersten Blick wie eine supermoderne Geschwindigkeitskontrolle aussieht, sind Geodäten bei der Arbeit – mit GPS und automatischen Messsystemen. Sie vermessen allerdings nicht nur Straßen- und Bauland, sondern auch Gebäude, Fahrzeuge, Windkraftanlagen oder potenzielle Katastrophengebiete; Gegenden, in denen zum Beispiel ein Tsunami, ein Erdbeben oder ein Erdrutsch drohen könnte. Natürlich mit dem Ziel, diese zu verhindern.
„Die Arbeitsfelder für Geodäten erweitern sich ständig“, sagt Winrich Voß, Professor am Geodätischen Institut der Leibniz Universität Hannover. Er lehrt im Fachbereich Flächen- und Immobilienmanagement, einem von insgesamt sieben Kompetenz-Bereichen der Geodäsie und Geoinformatik, die an seinem und drei weiteren Instituten in Hannover vermittelt werden. „Geodäten nutzen die gesamte Erde samt Weltraum als Arbeitsplatz. Außerdem sind sie Fachleute für Grund und Boden. In meinem Bereich geht es hauptsächlich darum: wo sind die Grundstücke, wer kann sie wie nutzen, wie verändert sich ihr Wert?“ sagt Voß.
Wo auch immer in Deutschland gebaut wird, sind Geodäten mit im Spiel. „Sie müssen gemeinsam mit Bauherren, Architekten und Stadtplanern überlegen, wie ein Bauvorhaben über mehrere Grundstücke umgesetzt werden kann“, erklärt Professor Voß. Den Vermessungs-Fachingenieuren kommt dabei so etwas wie eine Scharnierfunktion zu. Sie beraten und vermitteln zwischen allen, die beim Bauvorhaben mitmischen. Gerade bei Neubauten müssen sie zum Beispiel dafür sorgen, dass der Abstand zum Nachbargebäude korrekt ist. Christof Rek, der als Öffentlich Bestellter Vermessungsingenieur in einem Berliner Ingenieursbüro schon zahlreiche Regierungsbauten betreut hat, weiß vor allem um die Kniffeligkeit bei Tiefbauten. Auch hier ist sein Büro gefragt. „Bei großen Bauvorhaben besteht die Gefahr, dass sich das Nachbargebäude senkt und dann kippt oder dass es Risse bekommt“, sagt er. Damit das verhindert wird, überwachen seine Mitarbeiter mittels Online-Messungen und ständigem Monitoring den Zustand der Gebäude und machen Vorschläge zur Sicherung. Gipsplomben gegen die Risse zum Beispiel.
Auch, wenn ein Bau schon fertig ist, haben die Geodäten weiter zu tun. „Beim Neubau eines großen Hotels am Berliner Zoofenster haben wir überprüft, ob die 50.000 Quadratmeter Mietfläche, die der Bauherr für sein Hotel bestellt hatte, auch wirklich gebaut wurden“, sagt Rek. Ein weiterer großer Aufgabenbereich für Geodäten ist die Wertermittlung von Grundstücken. „Vermessen sind die Grundstücke meistens schon“, sagt Winrich Voß, „Wir hatten kürzlich erst den Fall, dass eine alte Militäranlage zum Wohngebiet werden sollte. Da muss erst mal der Wert der Anlage ermittelt werden.“ Wie ist die Verkehrsanbindung? Was erlaubt die Planung? Wie ist die Infrastruktur? Diese sogenannten Geodaten dienen dazu, den Wert eines Grundstücks genau und nachvollziehbar angeben zu können. Eine der neuesten Entwicklungen sind webbasierte Immobilienpreis-Kalkulatoren. „Als Wertermittler finden immer mehr unserer Absolventen Arbeit“, ist die Erfahrung von Winrich Voß, „ Die Banken müssen immer höhere Anforderungen an die Wertnachweise ihrer Kredite stellen. Und die sind ja häufig immobilienbasiert.“
Kein Google Maps ohne Geodäten, kein Stadtplan, kein GPS, kein Navigationsgerät für Auto oder Smartphone, kein Geocaching. „Die klassischen Karten auf Papier sind längst durch digitale Karten abgelöst worden“, sagt Jens Riecken, der für den Geobezug in der Landesvermessung Nordrhein-Westfalens verantwortlich ist, „hinter jeder Karte steht eine Datenbank mit Sachinformationen und Koordinaten.“ In Deutschland sei die Genauigkeit der Angaben besonders hoch – deshalb gebe es hier so gut wie nie Streit um Grundstücksgrenzen.
Wir wären nicht in Deutschland, wenn es nicht auch für andere Bereiche als für Liegenschaften einen Kataster gäbe. Einen Solarkataster zum Beispiel. Durch eine Radarmessung vom Flugzeug aus wurden neun Millionen Gebäude in Nordrhein-Westfalen auf die Frage hin geprüft, ob sie sich für das Anbringen von Sonnenkollektoren eigenen – das geht nur dann, wenn das Dach nach Süden oder Südwesten geneigt ist. „Auf dieser Basis können Städte ihr Energiepotenzial errechnen“, so Riecken.
Die neue digitalisierte Technik erleichtert die Arbeit der Geodäten ungemein. „Wenn wir heute Windkraftanlagen überwachen sollen, genügt es, sie für ein, zwei Stunden anzuhalten“, sagt Christof Rek. Gelenkt von Geodätenhand mit einem Joystick schwirrt eine Mini-Drohne – genau gesagt ein UAV (englisch für unmanned aerial vehicle, also unbemanntes Luftfahrzeug) – um die Rotorblätter und misst mittels Laser, ob alles noch an Ort und Stelle so sitzt, wie es soll. Früher musste man die Anlage mindestens für einen Tag stilllegen – und schwindelfrei sein –, um dort oben direkt an den Blättern messen zu können.
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 26. Juni 2014