Für Eberhard Schorr kam die pandemiebedingte Arbeitspause genau zum richtigen Zeitpunkt – jedenfalls, was seine Weiterbildung anging. Der Fotograf und studierte Kommunikationsdesigner hat sich von März bis Juli letzten Jahres zum Multimediamanager fortbilden lassen. „Da war ja auch für uns Fotografen nichts los“, sagt er, „Also konnte ich die Zeit nutzen.“ Seine Weiterbildung finanzierte das Arbeitsamt. Schorr hatte sich arbeitssuchend gemeldet, als seine befristete Anstellung in einer Agentur auslief. Der Fortbildungsanbieter, den ihm das Arbeitsamt vermittelte, hatte schon vor der Pandemie verstärkt auf E-Learning gesetzt, und so konnte die Weiterbildung komplett online stattfinden. Schorr saß jeden Tag von 9 bis 17 Uhr im Seminar – zuhause vorm Bildschirm. „Durch die Digitalisierung waren und sind wir Grafiker und Fotografen eh gezwungen, uns ständig fortzubilden. Schon vor der Pandemie war Fort- und Weiterbildung für mich ein Muss. Als Onlinemarketing immer wichtiger wurde, habe ich mich hierin selbst eingearbeitet. Aber so kompakt war das viel besser und effektiver“, sagt der 56-Jährige. Gleich nach Abschluss des Kurses hat er für eine befreundete Pianistin eine Website aufgesetzt. Seit er wieder reisen kann, berät der auf ökologische Landwirtschaft spezialisierte Fotograf auch Landwirte, wenn sie überlegen, eine Internetseite zu machen oder ihn fragen: brauchen wir das wirklich, dieses Instagram? „Dann setzen wir uns bei einer Brotzeit zusammen und überlegen, was die beste Lösung wäre“, sagt Schorr.
Eine Erfolgsgeschichte – aber eher die Ausnahme. Das ist jedenfalls das Ergebnis des vom Bundesministerium für berufliche Bildung und dem Deutschen Institut für Erwachsenenbildung (DIE) veröffentlichten Weiterbildungsmonitors. „Wir haben sehr drastische Einbrüche beobachtet, sowohl was die Kurse und Seminare als auch, was die Beteiligung angeht“, fasst Josef Schrader, Wissenschaftlicher Direktor und Vorstand des Deutschen Instituts für Erwachsenenbildung (DIE) zusammen.
Die Aussage überrascht – sollte man doch meinen, dass sich die Zeit im Homeoffice perfekt für Weiterbildungen eignet. „Auf den ersten Blick ist es eine plausible Annahme, dass Menschen dann, wenn sie zuhause arbeiten können und mehr Zeit haben, auch mehr Zeit für die Weiterbildung nutzen. Das gilt für die Corona-Pandemie und ihre Folgen ganz und gar nicht, im Gegenteil“, sagt Schrader, „Wir erleben einen Einbruch der Weiterbildungsaktivitäten, der vermutlich in der Nachkriegsgeschichte der Bundesrepublik einmalig gewesen ist – nicht nur, aber vor allem in den Phasen des Lockdowns. Vergleichbare Einbrüche gab es höchstens in Folge der Finanzkrise vor gut zehn Jahren.“ Laut Weiterbildungsmonitor wurden zu Beginn der Pandemie 77 Prozent der geplanten Veranstaltungen verschoben oder ersatzlos abgesagt, bei vier von zehn Anbietern waren Beschäftigte in Kurzarbeit.
„Mit dem ersten Lockdown im Frühjahr 2020 mussten wir von einem Tag auf den anderen nahezu unser gesamtes Volumen aus dem Markt nehmen“, sagt auch Hansjörg Fetzer, Geschäftsführer der Haufe Akademie, „wir haben vorher einen Großteil unserer Fortbildungen als Präsenzveranstaltungen angeboten – weil unsere Kundinnen und Kunden das größtenteils so wollen. Das ging in der Pandemie nicht mehr.“ Etwa zwei Monate habe man gebraucht, um von Präsenz-Veranstaltungen auf Online umzustellen. Auch die Nachfragen nach Kursen seien in dieser Zeit sehr zurückgegangen. Hansjörg Fetzer: „Die Veränderungen waren in den ersten Monaten so groß, dass alle erst mal mit sich selbst beschäftigt war – sowohl wir als Anbieter als auch unsere Kunden.“ Erst nach etwa acht Wochen gingen wieder mehr Buchungen ein. In der Zwischenzeit wurden die Programme überarbeitet und Trainer für die Online-Lehre mit entsprechenden Schulungen fit gemacht. „Mittlerweile haben wir mehr als 80 Prozent unserer Präsenz- und Blended-Learning-Kurse auf gleichwertige Live-Online-Termine umgestellt. Diese sind sehr nah am eigentlichen Präsenzseminar – nur eben virtuell und damit ortsunabhängig“, sagt Fetzer.
Am schnellsten funktionierte der digitale Umbau der Kurse dort, wo es um die Vermittlung von Fachwissen ging: „Kurse zu Personalmanagement-Themen oder BWL-Fachbereiche online anzubieten, war kaum ein Problem“, sagt Hansjörg Fetzer. Erziehungswissenschaftler Josef Schrader ergänzt: „Kurse, die auf Qualifikation im Arbeitsleben zielen, etwa Angebote zum Nachholen von Schulabschlüssen, ließen sich vergleichsweise gut auf digitale Formate umstellen.“ Schwierigkeiten habe es im Bereich der politischen und kulturellen Bildung oder im Gesundheitsbildung gegeben – überall dort, wo Teilnehmerinnen und Teilnehmer untereinander agieren können und sollten. Insgesamt habe die Pandemie aber auch dem Fortbildungssektor einen Digitalisierungsschub verpasst.
Gerade bei größeren Weiterbildern kann man inzwischen häufig wählen, ob man einen Kurs in Präsenz, rein online oder als Blended Learning-Angebot, also als Mischform mit E-Learning und Präsenzphasen, besuchen möchte. „Wir sind vergleichsweise gut durch die Pandemie gekommen“, sagt Katrin Gessner-Ulrich, Geschäftsführerin des IST-Studieninstituts, „Wir hatten eben nicht mit einer kompletten Umstellung zu kämpfen, wie es bei einigen klassischen Präsenz-Hochschulen der Fall war, weil viele Lerninhalte sowieso schon in unserem Online-Campus abrufbar waren.“ Online-Tutorien in virtuellen Klassenzimmern gab es schon vor der Pandemie – das Wissen und die entsprechende Technik konnte man dann auf die sonst in Präsenz stattfindenden Seminare übertragen. Neben dem Digitalboom – hat die Pandemie denn auch etwas Positives bei den Anbietern hinterlassen? „Oh ja“, sagt Haufe Akademie-Chef Hansjörg Fetzer, „für uns als Weiterbilder hat das eine Menge neue Themen gebracht.“ Er zählt auf: Change-Management, alles um digitale Transformation, Führen auf Distanz oder Seminare wie Arbeitsplätze erhalten durch Kurzarbeit. Aber auch Kurse wie „Resilienz – so stärken Sie Ihre persönliche Widerstandskraft“ wurden mit neuen Inhalten an die aktuelle Situation angepasst.
Auch beim IST-Studieninstitut gibt es Corona-spezifische Fortbildungen – zum Beispiel zum Hygienebeauftragten im Veranstaltungswesen. Welche Auswirkungen die Pandemie auf längere Sicht auf den Weiterbildungsbereich hat, lässt sich noch nicht voraussehen, meint Josef Schrader vom DIE. „Die Dynamik im Weiterbildungsbereich ist extrem groß, es kommen immer wieder neue Anbieter dazu, aber es verschwinden auch immer wieder Anbieter vom Markt.“ Die größte Herausforderung bestehe darin, herauszufinden, welche Weiterbildungsangebote sich gut für Digitalisierung eignen und welche nicht. „Digital geht gut, wenn es um die Vermittlung von Fachwissen geht. Aber bei Coaching, Beratung oder Training von Führungskräften ist die Präsenzform immer noch die beliebteste“, sagt Schrader. „Wir werden in Zukunft eine Vielfalt an Formaten anbieten können und wollen. Dabei passen wir uns den individuelle Lernbedürfnissen an“, sagt Hansjörg Fetzer, „Lernen muss relevant sein und soll Spaß machen.“. Er wolle das Prinzip des lebenslangen Lernens stärken. Eberhard Schorr, der Fotograf und frisch fortgebildete Multimediamanager, gibt übrigens inzwischen selbst online Foto-Seminare. Und er weiß, dass seine eigene Fortbildung sicher nicht seine letzte war: „Ich bin offene für neue Sachen, weil ich weiß: die Entwicklung im Netz geht ständig weiter.“
Erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 22. Oktober 2021