Bühne statt Büro

Theaterfreak, er? Pascal Wegner lacht. „Vor meinem Freiwilligendienst war ich so gut wie nie im Theater“, sagt er. Trotzdem hat er bei seiner Bewerbung für das Freiwillige Soziale Jahr (FSJ) Kultur unter der Rubrik Theater fünf Sterne angehakt. „Das ist etwas ganz anderes, eine kleine überschaubare Welt“, dachte sich der Abiturient – und bekam prompt eine FSJ-Stelle an den Münchner Kammerspielen. Glück gehabt. Seit Mitte September 2016 ist der 18-Jährige so oft in Bühnennähe wie noch nie in seinem Leben: jeden Tag. In der Video-Abteilung der Kammerspiele hilft er dabei, vor den Aufführungen die Bildschirme, Leinwände und Beamer aufzubauen, manchmal darf er Vorstellungen filmen. Sein neustes Projekt: Aufzeichnung und Schnitt der Jahrgangsinszenierungen der Otto Falckenberg Schauspielschule. Das macht er inzwischen ganz alleine. „Und wenn ich zwischendurch mal Zeit habe, setze ich mich in Stücke und Proben rein“, sagt Pascal, „Ich wusste vorher gar nicht, dass mir das so gut gefällt“. Wenn er im Sommer mit dem FSJ fertig ist, will er sich einen Ausbildungsplatz als Veranstaltungstechniker suchen. Die ersten Bewerbungen hat er schon losgeschickt.

Nico Hemmelmann, sein Betreuer und Leiter der Video-Abteilung, erzählt, dass die Kammerspiele bereits seit der Spielzeit 2003/2004 FSJler beschäftigen, seit 2007/2008 in der Videoabteilung. „Das ist ein Geben und Nehmen“, meint er. Klar müsse man anfangs mehr Zeit in die Leute investieren. Aber auch das Haus habe etwas davon, zumal die FSJler ein ganzen Jahr lang bleiben. „In jedem Fall ist das eine zusätzliche Hand als Hilfe“, sagt Hemmelmann. Das Freiwillige Jahr abgebrochen hat noch keiner. Hemmelmann hat zu allen ehemaligen Freiwilligen Kontakt. „Viele haben ihren beruflichen Weg weiter Richtung Kultur eingeschlagen, einer ist Regisseur geworden, ein anderer Kameramann, andere haben Bühnenbild oder Design studiert oder Medientechnik“, erzählt der Medientechniker.

Etwa 1700 junge Männer und Frauen, die meisten zwischen 18 und 21 Jahren, entscheiden sich nach der Schule für ein FSJ Kultur. Die 1660 Einsatzorte liegen verteilt über ganz Deutschland, die meisten stellen die einwohnerstarken Bundesländer Nordrhein-Westfalen und Baden-Württemberg. Berlin gehört zu den beliebtesten Einsatzorten: bis zu 800 Bewerbungen zählt man für die Bundeshauptstadt, vergeben werden können derzeit allerdings nur etwas mehr als 140 Stellen. Deshalb rät die FSJ-Kultur-Geschäftsstelle dazu, sich auch für andere Bundesländer zu bewerben.

Lea Blümel aus Wiesbaden hat einen der raren Plätze in Berlin ergattern können. Das war allerdings alles andere als einfach. Zunächst wurde sie abgelehnt, konnte aber dann doch noch nachrücken. Ihr erster Einsatzort war ein personell eher schwach aufgestelltes Kulturzentrum. Sie sollte vor allem dem Techniker bei Veranstaltungen dabei helfen, die Bühne aufzubauen. Doch sie hatte Pech, der Cheftechniker war dauerkrank, und es gab niemanden, der sie anleiten konnte. Außerdem: Schwere Lautsprecherboxen zu schleppen war für sie als zarte gerade mal 1,60 große Frau auch nicht so ganz das richtige. Sie wechselte die Einsatzstelle und kam zu einer christlichen Stadtführungsagentur, ebenfalls in Berlin. Auch da war fühlte sie sich nicht an der richtigen Stelle, denn zu ihrer Aufgabe gehörte viel Büroarbeit. „Das war nicht das, was ich wollte“, sagt Lea, „Ich war zwar in Berlin, aber den ganzen Tag im Büro zu sitzen war einfach nicht mein Ding.“ Was genau ihr Weg sein würde, wurde ihr während des FSJ klar. Sie bewarb sich um Praktika bei Filmproduktionsfirmen und Tonstudios. „Ohne die Erfahrung beim FSJ hätte ich das nicht gemacht“, sagt Lea. Im Frühjahr wird sie ein Praktikum bei einem Tonstudio anfangen – nicht in Berlin, sondern in einem 800-Seelen-Dorf irgendwo in Thüringen. „Inhaltlich ist das genau das, was ich möchte“, sagt Lea. Das muss nicht in Berlin sein.“ Was ihr allerdings fehlen wird, sagt Lea – die Seminare. Die gehören dazu zum FSJ, jeweils vier einwöchige Module zusammen mit anderen Freiwilligen, sie haben Workshopcharakter. „Das ist für die Freiwilligen fast so etwas wie ein Erweckungserlebnis“, sagt Jens Maedler, der Leiter der Programme beim bundeszentralen Träger, „Die Freiwilligen begreifen, dass sie nicht die einzigen sind, die sich für Kultur interessieren. Und dass Kultur ein Wirtschaftsfaktor ist und viel mehr als brotlose Kunst, als das sie oft angesehen wird.“

Apropos Geld: 320 Euro bekommen die Freiwilligen pro Monat, ein Taschengeld. Leben kann man davon nicht, denn oft müssen sich die FSJler noch ein Zimmer suchen und Miete bezahlen. Viele Freiwillige sind deshalb auf die finanzielle Hilfe ihrer Eltern angewiesen. Das Kindergeld läuft weiter. Dazu können sie Wohngeld beantragen. Oder andere Zusatzleistungen. So wie der Freiwillige Ali Ahmad, der für sein FSJ Kultur bei einem kleinen Programmkino in Osthessen landete. Er stellte einen Antrag auf Hartz IV – erfolgreich. „Meine Eltern konnten mich nicht unterstützen“, sagt er, „aber so bin ich über die Runden gekommen.“ An seinem Einsatzort war er die einzige Vollzeitkraft, alle anderen arbeiteten ehrenamtlich oder Teilzeit.

Gerade für kleinere kulturelle Betriebe ist die FSJ-Kraft eine wichtige Stütze. So im Hans-Fallada-Museum im mecklenburgischen Feldberg. „Für uns ist das eine gute Möglichkeit, eine volle Kraft zu einem guten Preis zu bekommen“, gibt Museumsleiter Robert Knüppel zu. Johanna Luchterhand, seine derzeitige FSJlerin, kümmert sich um den Museumsbestand, macht auch mal sauber, schreibt Rechnungen, gestaltet Flyer und sitzt an der Kasse. „Bei uns kann es im Winter ziemlich einsam sein“, sagt Robert Knüppel, „auch damit muss man zurecht kommen können.“ Johanna hat damit kein Problem. „Ich komme selbst aus einem kleinen Dorf“, sagt sie.

Jährlich bewerben sich etwa zehn Freiwillige auf die FSJ Stelle in Feldberg. Nur einer kann genommen werden. „Wir entscheiden danach, für wen es von der Entwicklung her am günstigsten ist“, beschreibt Knüppel die Auswahlkriterien. Abgebrochen hat noch keiner seiner FSJler in Feldberg. Robert Knüppel: „In meinen Augen war das bisher immer für beide Seiten ein Gewinn.“

erschienen in: Süddeutsche Zeitung, 16. März 2017
Foto: ©.marqs / photocase.de

 

Schreibe einen Kommentar